2023 war im Bordelais ein klimatisch herausforderndes Jahr. Und wie! Nun: in letzter Zeit sind viele Jahre klimatisch herausfordernde Jahre. 2023 war ein herausforderndes Jahr, weil das Jahr mit einem bis zuletzt enorm und dramatisch wechselhaften Wetter so viele Risiken barg und Optionen mit sich brachte wie selten zuvor. Keine Wetterkatastrophen? Mit uns befreundete Winzer sprechen von einem „tropischen Juni“ nach einem „eiskalten Winter“, sprechen vom „heißesten Juni in den Aufzeichnungen“. Tropisch: das heißt viel Hitze, viel Luftfeuchtigkeit, viel Horror, aufgrund viel Pilzbefall. Und danach? Danach fällt im bewölkten Sommer kein Regen, danach wird es trocken, bleibt es lange trocken. Das klingt nicht nach einem Jahr, in dem den Winzern viel erspart blieb.
2023 war also ein Kalt-Warm-Kühl-Heiß-Tropisch-Überirdisch-Unterirdisch-Temperaturspiel-Jahr, wie es die Winzer in dieser Ausprägung noch selten erlebt hatten. Und solche Jahre – auch wenn eine echte Wetterkatastrophe wie Hagel oder Starkregen bei absurden Wetter ausbleibt – sind Jahre, die Winzer unsicher machen. Tue ich das richtige? Schätze ich die Lage richtig ein? 2023 war ein Jahr für Winzer mit guten Nerven.
Haben die Winzer früh geerntet, um auf Nummer sicher zu gehen und damit das Risiko einbezogen, vor allem bei Cabernet grüne Tannine zu „ernten“ (die sich freilich über die Jahre zumeist wieder verflüchtigen)? Nein, sicher nicht!
Haben die Winzer spät geerntet, um ein Mehr an Kraft, Substanz und auch zum Teil nun gerne getrunkene moderne, elegant abgepufferte, rustikale Eleganz zu holen und damit das Risiko einbezogen, gekocht wirkende Marmeladeweine zu keltern? Nein, sicher nicht!
Was haben sie anstatt gemacht?
Sie haben das Richtige zum richtigen Zeitpunkt getan. Sie haben schnell und zum richtigen Zeitpunkt geerntet – dieses Jahr wohl überall ein zwei, drei Wochen früher als früher.
Richtiger Zeitpunkt ist nicht gleichbedeutend mit „rechtzeitig“. Richtiger Zeitpunkt heißt, dass der/die Winzer/Winzerin am Abend davor ahnt, dass der nächste Tag wohl der rechte Tag ist, den Sauvignon, den Semilion, den Merlot oder die beiden Cabernets (die meist später) von den Stöcken zu holen. Und ja: genau das ist (!), was 2023 ausmacht! Der Abend davor, der Morgen danach.
Richtiger Zeitpunkt heißt aber auch, all die Monate davor zur rechten Zeit das Richtige gegen den Pilzbefall (der vorhin erwähnte Mehltau und andere) getan zu haben. Und das ebenfalls schnell, denn 2023 ging es mitunter in Stunden um Wohl oder Wehe des späteren Lesematerials. Es war kein Jahr, um auf Urlaub zu fahren.
Dieser intellektuell stressige und wettermäßig so schwankende Jahrgang wird ein Jahrgang großer Weine von klugen Winzer sein – ist es schon.
Und, egal, was eine oberflächliche Online-Influencer-Expertisengemeinde anderes herausposaunen wird (wie inzwischen in jedem Jahr), so sind wir sicher, dass 2023 große Bordeaux nun ins finale Keltern und ab sofort auch in die Subskription kommen werden; Bordeaux, die über viele Jahre Freude machen werden. Erst recht, wenn Sie in das trinkige Alter kommen.