spit on my grave
aber bitte Wein. Fünf Weine, sich die Apokalypse schönzutrinken.
15. Mai 25, Klimek. Die Welt ist ein Saustall! Und keiner mistet aus. Es brennt. Im Nahen Osten, in der Ukraine, in den USA, in den Medien. Das Klima ist ein Totalschaden, die Börse ein Glücksspiel, und in Berlin regiert bald eine Schuldenkoalition, die sich bemühen wird, das Richtige zu tun – Schwerpunkt auf Bemühen. Das Einzige, was uns dieser Tage bleibt, ist das Glas in der Hand.
DEUtschbahn
Den Spies dreht keiner um – die DB und ihr einzig schöner Moment!
16 Mai 25 Klimek. Ich bin mit dem Zug nach Rheinhessen gefahren. Vor Wein-Achten. Mit dem Zug nach Rheinhessen zu fahren heißt in 95% der Fälle mit der DB fahren zu müssen: jenem Konzern, der es seit 2003 ca schafft, mein Nervenkostüm zu zerschneiden, ohne daraus ein neues, besseres Nervenkleid schneidern zu können – ganz im Gegenteil.

Der mega Moselmagier: Stefan Steinmetz
(Manfred Klimek) Es gibt ein paar, selten wiederkehrende Momente im Weintinkerleben, die ziehen einen still in die Knie – Demut & Kotau. Ganz ohne Glocke, ohne Trommelwirbel, ohne den inflationären Jubel, der so vielen Nebensächlichkeiten unserer Tage hinterhergeworfen wird. Einfach nur: du sitzt da, schaust auf Flaschen – und begreifst, dass du gerade Zeuge einer
(Manfred Klimek)
Es gibt ein paar, selten wiederkehrende Momente im Weintinkerleben, die ziehen einen still in die Knie – Demut & Kotau. Ganz ohne Glocke, ohne Trommelwirbel, ohne den inflationären Jubel, der so vielen Nebensächlichkeiten unserer Tage hinterhergeworfen wird.
Einfach nur: du sitzt da, schaust auf Flaschen – und begreifst, dass du gerade Zeuge einer Leistung bist, die eigentlich nicht möglich sein dürfte.
So ein Moment ist die 2024er-Kollektion trockener Rieslinge von Stefan Steinmetz.
Keine andere Kollektion trockener Rieslinge an der Mosel – ja, vermutlich in ganz Deutschland – besitzt diese radikale Breite, diese wahnsinnige Tiefe, diese geradezu biblische Vielfalt an Stilistiken. Es ist, als hätte jemand die gesamte Mosel durch ein Prisma geleitet und jede Brechung in eine eigene Flasche gefüllt. Und da reden wir noch nichtmal von den vier fruchtwüßen Weinen, von Steinmetz’ beeindruckender Kollektion der roten Lagenburgunder und auch nicht von seinen drei bis vier jährlichen Experimentweinen (von jenen mehr nachsten Sonntag in der WELT am SONNTAG)
Steinmetz ist – wie Markus Molitor – ein Winzer, der Lagen nicht abfüllt, sondern offenlegt. Entblößt.
Aber er tut es nicht kalkuliert, sondern brachial ehrlich. Ohne Stil-Glättung, ohne jede Beliebigkeit.
Jede Lage ist hier ein eigenes Dokument der Wirklichkeit.
Das alles mit einer Präzision, die so absurd präzise ist, dass man fast vergisst, dass Wein überhaupt von Menschen gemacht wird.
Los geht’s
1 – Brauneberger Riesling 2024
Der verlässlichste Gutsriesling des Hauses – und 2024 mit einer Geradeaus-Präzision, die fast schon beleidigend souverän wirkt.
Weniger Steinobst als sonst, dafür eine wunderbar klare, feuchte Quitte, Stachelbeere, ein Hauch Kohlrabi, etwas Lorbeer am Rand, Hagebutte als feiner Gleitfilm – und dann diese berühmten Schiefersalze wie ein letzter Satzzeichenpunkt im Schluck.
11,5% Alkohol, 4 g Zucker.
2 – Wintricher Riesling 2024
Eindeutig cremiger als der Brauneberger.
Pfirsich in Weiß, Akazienblüte, dazu gelber Paprika in homöopathischer Dosis, Mohnblume und eine ganze Wiese voller Kräuter. Mehr Fruchtsüße, mehr Saft, weniger Salz – ein Riesling mit breiter Brust und offenen Armen.
10,5%, 7 g Zucker.
3 – Brauneberger Juffer Kabinett (trocken) 2024
Ein Kabinett an der Grenze zum knochentrockenen Wein – und deshalb ein Kabinett für Erwachsene.
Ringlotte, weißer Pfirsich, die Ahnung von blauer Zwetschke. Limette und Zitronengras wie eine frische Klinge.
9,5% Alkohol, 6 g Zucker, 9,5 g Säure.
Der ideale Wein für asiatische Küche – und für Menschen, die glauben, Kabinett könne nicht ernst sein.
4 – Drohner Hofberger Gewanne „Kandel“ 2024
Volumen satt.
Einer der „großen“ Rieslinge dieser Kollektion – fett, voller Wucht, mit einer tiefen, kernigen Schiefermineralik.
Frucht massiv, Kräuter fast verschwunden, keinerlei Gemüse – ein Riesling, der zu Braten passt, ohne in die Knie zu gehen.
12,5% Alkohol, 1 g Zucker.
5 – Brauneberger Juffer „GB“ 2024
Brotig, wuchtig, voller Steinobst und Ringlotte.
Große Würze.
Ein Riesling mit tiefem Atem und langer Perspektive.
12,5% Alkohol, 1,6 g Zucker.
Der große Brauneberger, und er weiß es.
6 – Zeltinger Sonnenuhr „GZ“ 2024
Mehr Nuss, Birne, Aprikose, dunkle Minze, rosa Grapefruit.
Ein Riesling wie ein Messerschnitt: scharf, lang, sehnig.
12,5% Alkohol, 2,3 g Zucker.
7 – Wintricher Geierslay „GW“ 2024
Feiner, eleganter, alkoholischer – aber mit der seidigsten Struktur der ganzen Kollektion.
Grüner Paprika, nasse Kiesel, Bachquelle – ein Riesling wie aus kühler Morgenluft destilliert.
13% Alkohol, 3,4 g Zucker.
8 – Wintricher Ohligsberg „GW“ 2024
Brüderlich dem Geierslay verwandt – aber mit mehr Stoff, mehr Tiefe, weniger Zartheit.
Leichter Schnittlauch-Ton, der ihn unwiderstehlich zum Rindsuppenwein macht.
12,5% Alkohol, 3,4 g Zucker.
Der kulinarischste Steinmetz in 2024.
9 – Drohner Hofberger GG 2024
Ein Monument.
Kristallklar, elegant, riesig, ohne schwer zu wirken.
Schiefer, Frucht, Champignons, Haselnuss – alles ist da, und nichts drängt.
13% Alkohol, 1,4 g Zucker.
Der große „Pure-Class“-Riesling dieses Jahres.
10 – Detzemer Klosterlay GG 2024
Steinobst-Monster, aber edel.
Himbeere, Kirsche, Zitrus, Nuss – und dahinter ein Speicher an Haltbarkeit, der fast nicht auszutrinken ist.
12,5% Alkohol, 3,6 g Zucker.
Der langlebige Fruchtgigant.
11 – Drohner Grosser Hengelberg GG 2024
Der femininste Riesling der Kollektion.
Aprikose, feiner Sponti-Gummi, alles schwebt.
13% Alkohol, 4 g Zucker.
12 – Neumagener Rosengärtchen „Am Fels“ 2024
Ein Monument der Eleganz.
Einzelstock, jung – und jetzt schon groß.
Fast keine Zitrusnoten, kaum Nuss, keine Gemüseanklänge – pure Schieferfrucht in monumentaler Ruhe.
12,5% Alkohol, 2,6 g Zucker.
Der große Langstreckenwein der Kollektion.
Die Negociant-Weine – für das Bordelais (!)
13 – Piesporter Treppchen GG 2024
Haselnuss, Walnussschale, Kastanie, schwarzer Boden, Humus – ein Riesling wie aus einer Bibliothek alter Wurzeln.
12,5% Alkohol, 4 g Zucker.
14 – Neumagener Rosengärtchen GG 2024
Furztrocken.
Elegantes Steinobst, viele Waldhimbeeren, Hagebutte, Ginster – ein aristokratischer Riesling, glockenklar.
12,5% Alkohol, 1 g Zucker.
Ein Wein wie ein Samurai-Schnitt.
15 – Neumagener Rosengärtchen VdT 2024
Suckling 99 Punkte – völlig zurecht.
Balance total: Steinobst, Himbeere, Schiefer, Eleganz.
13% Alkohol, 2,3 g Zucker.
Einer der besten Moselrieslinge des Jahres. Punkt.
16 – Piesporter Treppchen VdT 2024
Kühler, salziger, vegetabiler – und doch voll Steinobst.
Ein garantierter 30-Jahre-Läufer.
12,5% Alkohol, 1,6 g Zucker.
Ein Riesling mit dem Atem einer Kathedrale.
17 – Drohner Hofberger Reserve 2024
Kohlrabi, kalter Spinat, Nashi-Birne, Quarzit, grüner Apfel, leichte Fleischigkeit.
Ein Riesling, der Körper und Geist zugleich hat.
13% Alkohol, 2,4 g Zucker.
Die kräftigste, überwätigendste Steinmetz-Reserve seit Jahren.
18 – Drohner Grosser Hengelberg Reserve 2024
Der König der Kollektion.
Stockinger-Fässer.
Frucht in feinster Eleganz.
50 Jahre Lagerpotenzial.
13% Alkohol, 2,6 g Zucker.
Der Riesling, der in 2075 noch besprochen werden wird.
Steinmetz 2024 ist kein Jahrgang – es ist eine Enzyklopädie.
Es gibt Winzer, die jedes Jahr gut sind.
Es gibt wenige Winzer, die in manchen Jahren groß sind.
Und es gibt Steinmetz – der mit 2024 eine trockene Kollektion vorlegt, die schlicht nicht möglich sein sollte.
Yes, he can!

This guy must go: Hinweg mit dem VDP-Adler!
(Manfred Klimek / Foto: Ludwig von Kapff – Weinhandel) Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter, kurz VDP, hat über Jahrzehnte Maßstäbe gesetzt. Er war Avantgarde, als andere noch überlegten, wie Deutschlands Qualitätsweine zu vermarkten sind. Doch das Symbol, das ihn seit fast hundert Jahren begleitet, ist in einer Zeit, die auf Symbole erheblich empfindlicher reagiert als je
(Manfred Klimek / Foto: Ludwig von Kapff – Weinhandel)
Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter, kurz VDP, hat über Jahrzehnte Maßstäbe gesetzt. Er war Avantgarde, als andere noch überlegten, wie Deutschlands Qualitätsweine zu vermarkten sind. Doch das Symbol, das ihn seit fast hundert Jahren begleitet, ist in einer Zeit, die auf Symbole erheblich empfindlicher reagiert als je zuvor, zum Problem geworden: der Adler.
Dieser Vogel, mit seinen steifen Schwingen und den angriffslustigen Klauen, erinnert fatal an das, was er nie mehr erinnern sollte – an den Reichsadler. Eine historische Belastung, die meine Generation noch abstrahieren konnte, weil wir das Symbolische vom Symbol trennen konnten. Doch diese Fähigkeit schwindet. Wir leben in einer Epoche, in der das Offensichtliche das Nachdenkliche, das Differenzierende, verdrängt.
Was man sieht, zählt. Und was aussieht wie Macht, gilt als Machtgeste.
Was aussieht wie ein Reichsadler, bleibt Reichsadler – egal, was die Satzung dazu sagt, egal, wie liberal und versichert demokratisch die Winzer sind. Tradition, schön und gut. Doch kann der verkappte Reichsadler, der seit jeher auch Konsumenten abschreckt, wie ich schon in den 2000er-Jahren von Journalistenkollegen erfuhr (“Ich kaufe das nicht, mich erinnert das an die Nazizeit”), kein Symbol sein, dass in einer sich verändernden Gesellschaft noch Platz greift.
Wenn also der VDP den Anschluss an die jüngeren Generationen nicht verlieren will, muss er diesen Adler demokratisieren. Er braucht nicht zwingend ein neues Wappentier – aber wenigstens eine Neuinterpretation: weichere Linien, weniger Panzerung, mehr Gegenwart. Warum nicht ein augenzwinkernder Adler mit Glas und Flasche in den Krallen? Ein Symbol, das nicht dominiert, sondern genießt.
Denn sonst wird aus dem stolzen Wappenvogel ein SUV mit Flügeln – das perfekte Symbol für jene Männlichkeit, von der sich die Generation Z gerade abwendet. Dann ist der Adler nicht mehr Wahrzeichen, sondern Warnzeichen. Besonders im Ausland, wo der deutsche Wein dringend jung aufgestellt gehört.
Apropos neu Aufstellen; Während die halbe Weinwelt gerade versucht, das Thema „Low Alcohol“ zu erfinden, liegt die Lösung in Deutschland seit Jahrhunderten in den Kellern: Kabinett und Feinherb.
Diese Weine – leicht, elegant, trinkanimierend – sind das Gegenteil jener alkoholgesättigten Weinschwergewichte, die einst Prestige versprachen und heute nur noch Ermüdung erzeugen. Ein guter Mosel-Kabinett hat 7,5 bis 10 Prozent Alkohol, balanciert Restsüße mit Säure, schmeckt wie ein Nachmittag in der Herbstsonne und hat trotzdem Tiefe.
Er ist der „Wein der Zukunft“, ohne dass jemand den Marketingbegriff dafür erfinden müsste.
Nur: Warum wird daraus kein Kapital geschlagen?
Warum klebt man nicht auf jede Flasche einen Sticker mit den Farben Schwarz-Rot-Gold und dem Satz:
„Low Alk. Big Fruit. Decent Glass.“ – ein ironischer, selbstbewusster Slogan, der genau das signalisiert, was Deutschland kann: Wein mit Haltung und Leichtigkeit zugleich.
Stattdessen herrscht Lähmung. Die Verbände fürchten, sich zu modernisieren. Winzer fürchten, Ernsthaftigkeit zu verlieren. Und der VDP, der in dieser Sache einmal wirklich mutig sein könnte, beschäftigt sich mit Klassifikationen, als ginge es um Verwaltungsrecht, nicht um Lebensfreude.
Dabei war Deutschland immer am besten, wenn es gegen den Strom schwamm: Als man an der Mosel süß und trocken gleichwertig genial kelterte (und immer noch keltert). Als man Rieslinge exportierte, die in England und den USA abslute Prämiumweine wurden. Und heute, da die Welt nach leichteren, bekömmlichen Weinen schreit, schaut Deutschland betreten zu, wie sogar Regionen wie die verschlafenen Provence die Kategorie „Light & Fresh“ besetzen.
Beide Themen – der Adler und der Kabinett – gehören zusammen.
Beide sind Spiegel einer Branche, die in sich ruht, während draußen alles in Bewegung ist.
Der Adler zeigt, wie schwer man sich mit Veränderung tut.
Der Kabinett zeigt, wie leicht Veränderung sein könnte.
Deutschland könnte die Weinwelt mit zwei einfachen Gesten aufrütteln:
Ein neuer, zeitgemäßer Adler – und ein nationaler Schulterschluss für den leichten, lebendigen Riesling.
Will der deutsche Weinbau solche anpassenden und einfachen Reformen? Oder will er sich beim Verschwinden erste Reihe fußfrei zusehen?
Vom dieser Entscheidung hängt mehr ab, als heute kapiert wird. Ein “Weiter so!” wäre verheerend.

Die nie gehaltene Rede von Oppenheim
(Manfred Klimek / Winzer am Foto: Pollerhof, Weinviertel) Über Wein, Wandel und Wirklichkeit Ich sollte gestern in Oppenheim am Rhein sprechen. Bei einer Veranstaltung der Landesregierung. Über Wein, Wandel und Wirklichkeit. Ein so genannter Keynote-Speech. Keine Ahnung, was das sein soll – aber bitte gerne. Doch die Deutsche Bahn hatte andere Pläne mit mir. Und
(Manfred Klimek / Winzer am Foto: Pollerhof, Weinviertel)
Über Wein, Wandel und Wirklichkeit
Ich sollte gestern in Oppenheim am Rhein sprechen. Bei einer Veranstaltung der Landesregierung. Über Wein, Wandel und Wirklichkeit. Ein so genannter Keynote-Speech. Keine Ahnung, was das sein soll – aber bitte gerne.
Doch die Deutsche Bahn hatte andere Pläne mit mir. Und mit dem in Oppenheim wartenden Publikum: Züge fielen aus, Verbindungen brachen ab, Anschlüsse verpassten sich selbst. Ich strandete irgendwo zwischen Mainz und Bedeutungslosigkeit. Und letztlich, und bedeutend, bei Stefan Steinmetz an der Mosel, wo ich heute die Keysätze meiner Keynote-Rede (wos is des eigentlich?) aufschreibe. Das, was ich gestern hätte sagen wollen – und das, was heute vielleicht sogar wichtiger ist, als es gestern gesprochen zu haben.
1. Der Zug als Zustand
Vielleicht ist diese Panne ein Sinnbild. Auch die Weinwelt ist auf einer Strecke unterwegs, die keiner mehr instand hält.
Signale fallen aus, Weichen klemmen, und jeder glaubt, sein Waggon fahre besser allein durch die Unwirtlichkeiten der Gegenwart.
Doch der Wein ist kein Solist. Er ist ein Orchester. Und dieses Orchester droht gerade, sich selbst zum Schweigen zu bringen. Auch, weil das Orchester nie einen Dirigenten hatte, der das große Ganze sieht und bewahren will.
Ich war nur Teilzeitwinzer, immerhin mit 93 Parker-Punkten ausgezeichnet (danach habe ich gleich aufgehört), aber ich kenne das Gefühl, etwas bewahren zu müssen, das ständig angegriffen wird: Wahrheit, Handwerk, Sinn, Liebe, Leben, Genuss. Weltumarmung.
Wein ist wie Schreiben – beides braucht Geduld, Klima, Selbstzweifel und die Bereitschaft, Fehler zu machen und zu verzeihen.
2. Der neue Puritanismus
Seit die WHO vor zwei Jahren verkündete, kein Tropfen Wein sei sicher, sei sogar anleihenschaft tödlich – das übrigens auf Basis keiner einzigen Langzeitstudie –, rollt eine Welle des moralischen Revisionismus über die Weinwelt – vor allem die deutsche. Sie trifft den Wein härter als alles andere, weil Wein ein großer Markt ist, immer noch ein Milliardenmarkt, den die Anti-Alkohol-Lobby erst sehr spät als solchen erkannt hat – und in ihm auch den enzig relevanten Gegner in dem von ihr angestachelten Krieg.
Diese Gegenseite, diese Kriegserklärer, argumentieren nicht mit Wissenschaft, sondern mit Scham.
Sie bedienen alte Instinkte: Reinheit, Askese, Kontrolle.
Sie mischen sich mit religiösen Motiven, mit einer Woke-Moral, die längst zur neuen Kirche geworden ist –
nur ohne Musik und ohne Beichte.
Journalisten, die einst Fragen stellten, verkünden jetzt Wahrheiten.
„Haltung“ ersetzt Recherche.
In Leitartikeln wird Alkohol nicht mehr differenziert, sondern dämonisiert.
Und ausgerechnet jene, die sonst für Vielfalt eintreten, akzeptieren beim Genuss nur noch Monotonie.
3. Der Wein als Projektionsfläche
Wein, heißt es jetzt, sei männlich, reaktionär, elitär – ein Eindruck, der trotz einer veränderten Weinwelt immer noch sich selbst in den Sozialen Medien beweist. Mit Etikettentrinkern, die eben ausschließlich “Mein Haus, mein Auto, meine Finca, mein Weinkeller”-Poster sind.
Ein Getränk der Besitzenden.
Der SUV im Glas.
Der Bourgeois in der Flasche.
Und wie beim Auto reicht das moralische Unbehagen über den Verbrenner aus, um eine ganze Kultur zu diskreditieren – vor allem bei den Jugendlichen – wenn es die überhaupt noch gibt, im Gebärstreik des satten, linksliberalen Bürgertums.
Böhmermanns Anti-Wein-Sendung vor zwei Jahren war da nur die Karikatur eines tieferen Reflexes:
das Bedürfnis, alles Alte zu stürzen, um Junge sich jung fühlen zu lassen.
Die chinesische Kulturrevolution aus 1966 im Lifestyle-Format der Post-Covid-Ära.
Das ist das Neue dieser Zeit. Und der Weinbau ist Opfer und Kolloteralschaden eines viel, viel größeren gesellschaftlich-wirtschaftlichen Umbruchs, der eher mit der industriellen Revolution des Manchaster-Kapitalimus um 1845 verglichen werden kann, als mit dem Erscheinen des Internet um 1990.
Dieser maßgeblichen Veränderung muss sich auch der kleinste aller Winzer gewahr werden, wenn er die Bedrohung fassen und verbalisieren will. Und bald wird Wollen von Müssen verdrängt werden.
4. Das Vakuum der Sinnlosen
Wir leben in einer Zeit ohne Mitte.
Religion, Politik, Presse – alles, was früher Orientierung bot, hat an Autorität verloren.
Was bleibt, ist das Bedürfnis nach erklärter Reinheit, nach selbstgewisser Dominanz eines Guten, Schönen und Wahren
Und Reinheit ist immer autoritär.
Sie duldet keine Grautöne, keine Halbheiten, keine leicht berauschte Weinseligkeit.
Der Verzicht wird zur Tugend, der Genuss zur Schuld.
Und so wie der Zucker aus Teilen der Ernährung des neuen Bürgertums verschwand (und bei “den Proleten” immer noch fröhliche Urstände feiert), soll jetzt der Wein aus der bürgerlichen Kultur verschwinden. Leider empfinden das junge Bürgerliche, vor allem jene in Medien, als Kampfauftrag. Und nicht als Kulturverlust – auch, weil Kultur keine Breite und keinen Diskurs mehr kennen soll.
5. Der demografische Bruch
Aber auch jenseits der Ideologie steht der Wein vor seiner größten strukturellen Zäsur.
Es gibt nur noch halb so viele junge Menschen wie in den Boomer-Jahren, nur noch halb so viele Jugendliche wie in meiner Jugend.
Und von dieser Hälfte hat ein Drittel einen islamischen Hintergrund – und damit eine religiöse Distanz zum Alkohol.
Diese jungen Menschen sind nicht gegen Wein, er ist ihnen schlicht fremd.
Gleichzeitig sterben jene langsam aus, die Wein noch als Haltung verstehen. Als Kultur gegen einen grauen und von grauem Kapitalismus geprägten Alltag. Zwischen Reinheitsglaube und Ratlosigkeit steht eine Branche, die ihre Jugend und ihre Jugendlichen verloren hat.
6. Der Verlust der Aura
Wein war einmal der Herzschlag des modernen Lebens.
Cordobar, Freundschaft, Schluck, Noble Rot – das war vor acht Jahren. Wein war hip! Erst vor acht Jahren!
Heute?
Wein ist wieder still geworden, unsexy, angezählt.
Und das nicht, weil er schlechter wurde, sondern weil er leiser blieb, während andere laut schrien.
7. Die Zukunft schmeckt anders
Bars können reagieren. Sie spielen mit Null-Prozent-Gins, entwerfen alkoholfreie Cocktail-Menüs, mixen Geist ohne Promille – und das klappt sogar. Deswegen sind Bars auch in einem islamischen Umfeld möglich
Beim Wein ist das schwieriger.
Entalkoholisierte Weine verlieren, was sie sind – ihren Gärprozess, ihre Seele, ihren Rhythmus.
Man kann sie technisch reparieren, aromatisch schminken – aber sie bleiben ein Kunstprodukt. Und dieses Kunstprodukt zu stärken ist ein Fehler – eine Amputation, die eine Prothese implantiert, die von einer im Gesamten unkundigen Intelligenz gesteuert wird. Don’t follow this way!
Die Hoffnung liegt woanders: in der Biodynamie, im Handwerk, im Glauben an Kreisläufe statt Kontrolle.
Die junge Generation akzeptiert keinen Wein mehr, der industriell schmeckt.
Sie will Herkunft, nicht Marke. Wahrheit in der Wirkichkeit, nicht Etikett.
8. Die Gegenoffensive
Was tun?
Wir brauchen eine Bewegung. Keine Messe, keine Kampagne.
Eine neue Sprache, eine neue Ironie, eine neue Lust.
Etwa Weinwahlkampfstände in den kommenden “echten” Wahlkämpfen, die den Wahlkampfständen anderer Parteien Paroli bieten.
„Trink Dir die Politik schön – mit deutschem Wein.“
Weingläser auf Festivals, auf der Berlinale, sichtbar nicht nur auf Vernissagen.
Und vor allem: Winzerinnen, Winzerinnen, Winzerinnen
Denn wer Frauen attackiert, verliert.
Das ist Gesetz bei Woke. Und wir sollten die Gesetze von Woke für unsere Belange nutzen.
9. Sharing is Caring
Aber das Wichtigste: Die Weinwelt muss endlich begreifen, dass sie nur gemeinsam überlebt.
Die Zeit der Eifersucht, der Missgunst, des Neids (vor allem in Deutschland) muss schnell und endgültig vorbei sein.
An der Mosel, wo ich gerade bin, ist sie noch Alltag – jeder gegen jeden.
Der Nachbar wird eher bekämpft als bewundert oder gelobt
Der Applaus der anderen gilt als Verrat.
Doch Missgunst ist der Schimmel im Fass zukünftiger Weine.
Solange Winzer übereinander schlecht flüstern statt füreinander gut zu sprechen, solange der Erfolg des anderen als Kränkung empfunden wird, wird der Wein keine Zukunft haben.
Sharing is caring (2)
Jeder Winzer, jede Winzerin sollte jeden großartigen Beitrag der anderen teilen.
Über Grenzen, Generationen, Anbauverbände hinweg.
Das ist keine Geste der Freundlichkeit – das ist Strategie.
Der Algorithmus liebt Solidarität.
Was geteilt wird, wird sichtbar.
Und Sichtbarkeit ist das Überleben der Gegenwart.
Nur so entsteht Bewegung.
Nur so entstehen Geschichten, die sich gegen den Strom behaupten.
Denn der Feind steht nicht im Nachbardorf –
er sitzt in den Chefetagen der digitalen Plattformen,
wo Kultur nach Klicks bemessen wird.
(Lesen Sie bitte dazu auch unsere Initiative Friedensnobelpreis für Wein https://nobelprize.wineparty.wine/)
10. Die deutsche Krankheit
Das größte Problem ist nicht das Klima, nicht der Markt, nicht einmal der Alkohol.
Es ist die deutsche Mentalität: endloses Bedenkenträgertum, dümmliche Bürokratie, unduldsame Vorsicht, behämmerte Vereinzelung.
Die Angst, gemeinsam zu scheitern, ist größer als der Wunsch, gemeinsam zu glänzen.
In Italien, Österreich und der Schweiz beginnen sie das zu kapieren.
In Deutschland schreibt man Protokolle.
11. Das Vermächtnis
Ich hätte das gestern gerne in Oppenheim erzählt – ausführlicher zudem.
Über Wein, Wandel und Wirklichkeit.
Über ein Getränk, das nie nur Rausch war, sondern Erinnerung an kulturelle Relevanz, die weit über den Weinbau hinausgeht. Über eine Kultur, die sich selbst abschafft, wenn sie dem Wein entsagt.
Ein Abendland, das den Morgen verliert.
Denn der Wein ist kein Laster.
Er ist Lehrer.
Er lehrt Geduld, Hingabe, Maß und Demut.
Er verbindet das Irdische des Bodens mit dem Menschlichen der Kreatur, das Flüchtige mit dem Beständigen.
Und vielleicht war es gut, dass ich die Rede nicht halten konnte.
Denn so durfte sie eine Nacht lang atmen.
Wie ein Wein, der in der Karaffe am Tisch vergessen wurde.
Und dann, endlich, zu sich selbst findet.
Lesen Sie bitte dazu auch unsere Initiative Friedensnobelpreis für Wein https://nobelprize.wineparty.wine/

Saint Patricks Day: echt außergewöhnliche Wöödliner aus dem Kremstal
(Manfred Klimek / WELT am SONNTAG) Ich bin im Kremstal, in Niederösterreich, dort, wo das Terroir oft mit der prominenten Nachbarregion Wachau identisch ist. In Senftenberg, einem Straßendorf, das eigentlich mehr Felsen als Häusern Platz bietet, arbeitet ein junger Winzer, der gerade in den Bewertungen vieler Weintester – auch jener bei Robert Parker – hoch
(Manfred Klimek / WELT am SONNTAG)
Ich bin im Kremstal, in Niederösterreich, dort, wo das Terroir oft mit der prominenten Nachbarregion Wachau identisch ist. In Senftenberg, einem Straßendorf, das eigentlich mehr Felsen als Häusern Platz bietet, arbeitet ein junger Winzer, der gerade in den Bewertungen vieler Weintester – auch jener bei Robert Parker – hoch nach oben schießt: Patrick Proidl, 33, schnell im Kopf und Reden wie Heidi Reichinek, rhetorisch scharf; ein Mann, der seine Sätze so präzise setzt wie seine Lagen. Die Familie stammt ursprünglich aus Bremen, eingewandert vor Generationen, geblieben, weil wohl der Dreißigjährige Krieg die Migration erzwang. Patricks Vater, ein kluger önologischer Querkopf mit ewig junger Energie, steht noch immer jeden Tag in Weingarten und Keller. Gemeinsam verkörpern sie etwas, das ich in Österreich auch öfter so klar finde: eine unaufgeregte Leidenschaft, die keine Marketingvokabeln braucht.
Während in Deutschland viele Winzer über Absatzrückgänge klagen, sagen die Proidls: Wir spüren keine Krise. Und ich glaube ihnen. Denn wer so arbeitet, produziert keine Trendweine, sondern Zeitdokumente, die schon aufgrund ihrer Qualität und der patriotischen Trinkgewohnheiten der Österreicher ihren Platz am Markt verteidigen.
Der erste Wein, den ich in Proidls schönem Verkostraum probiere, ist der Grüner Veltliner Rameln 2024, ein Ortswein aus einem urtümlichen Kessel, zu neunzig Prozent von Wald umschlossen. Vor der Lese gibt es hier mitunter Tag-Nacht-Temperaturschwankungen von 35 auf 5 Grad – perfekt für spannende Weine. In der Nase Steinobst, Feuerstein, ein Hauch feuchter Kiesel. Im Mund dominiert Marille, delikat, klar, fast japanisch präzise. Für 11,70 Euro ist das eine fast schon zu günstige Demonstration von Stil und Eleganz.
Der Veltliner Hausberg 2024 spielt leiser, aber raffinierter. Kalkschotter, 27 Jahre alte Reben, spontanvergoren. 12,5 Prozent Alkohol, fast neun Promille Säure – doch man schmeckt sie kaum. Er ist eleganter, feiner, ziselierter als der Rameln, ein Wein, der den Boden nicht beschreibt, sondern übersetzt.
Dann kommt der Veltliner Pellingen 2023, Erste Lage, Reserve. Ein großer Jahrgang – Sonne und Wolken in perfektem Takt. Geerntet wurde Stunden vor dem Dauerregen Ende Oktober. 60 bis 90 Jahre alte Reben, Eigenzüchtungen, keine Klone. In der Nase Brottöne, Paradeiser, Senf, ein Hauch Quitte und Pfirsich. Am Gaumen mollig durch den langen Kontakt mit der Vollhefe. Ein Wein, der atmet wie ein alter Musiker: tief, rund, dunkle Bässe. 32 Euro – und jeden Cent wert.
Die Krönung folgt mit dem Veltliner Ehrenfels 2023, einer Monopollage, die nur den Proidls gehört. Einst eine nach dem Krieg verfallene Steillage, die die Proidls Stück für Stück dem Latifundisten Fürst von Starhemberg abkauften. Haselnuss in der Nase, verführerischer Pfirsich, Aprikose, und im Mund Nussbrot, Paradeisermousse, Paragneis- und Bronzitsalze. Eisenreich, sinnlich, fast körperhaft. 40 Euro – und wahrscheinlich das Gehaltvollste, das dieser Boden hergibt.
Doch Patrick Proidl wäre nicht Patrick Proidl, wenn er beim Klassischen alleine stehen bliebe. Da ist die Große Reserve 2023, „Holzhammer 55“ genannt – 55 Jahre alte Veltlinerreben, Akazienfässer aus Österreich, 1200 Flaschen. Druckvoll, aber nie laut. Steinobst in allen Aggregatzuständen, Eleganz ohne Fett, 50 Euro, und kein Cent Übermut.
Und schließlich der Wein, der alles zusammenfasst: Generation X 2023. 90 Jahre alte Reben, Allierholz aus Frankreich mit sanftem Toasting, 14,5 Prozent Alkohol, aber fast schwerelos. Quitte, Litschi, Mandarine, ein Hauch Walnuss, weißer Pfeffer, gelber Paprika. Kraft und Leichtigkeit in derselben Bewegung – ein Tabubruch mit Maß für eines großen Weins wohlfeile 50 Euro.
Ich verlasse Senftenberg mit dem Gefühl, dass hier etwas passiert, was sich in Zahlen kaum abbilden lässt. Keine Reduktion auf Berg, Winzer oder Marke. Sondern ein Weinbau, der weiß, was er tut – und was er lässt.
Patrick Proidl ist eine der neuen Stimmen im österreichischen Weinbau: schnell, wach, selbstironisch – aber ohne Pose. Seine Weine schmecken nicht nach ideologischer Anstrengung, sondern nach Zuversicht im Glas. Und ja: Proidl keltert auch hervorragende Lagenrieslinge, die ebenfalls eine genaue Betrachtung verdienen. Vielleicht dann nächstes Jahr.

Terroir schmecken? Die Wissenschaft sagt nein, die Weinwelt sagt ja – und beide liegen daneben.
(Manfred Klimek / Redaktion) Alle paar Monate poppt irgendwo verlässlich ein Artikel auf, der behauptet, man könne Terroir weder riechen noch schmecken. Dann jubeln die üblichen Applausmaschinen, die Weinkultur am liebsten auf zwei Kategorien reduzieren würden: dümmliches Distinktionsgetue und Einbildung. Fehlt nur noch, dass die draufkommen, dass Wein in Südafrika und Namibia das Erbe der
(Manfred Klimek / Redaktion)
Alle paar Monate poppt irgendwo verlässlich ein Artikel auf, der behauptet, man könne Terroir weder riechen noch schmecken. Dann jubeln die üblichen Applausmaschinen, die Weinkultur am liebsten auf zwei Kategorien reduzieren würden: dümmliches Distinktionsgetue und Einbildung. Fehlt nur noch, dass die draufkommen, dass Wein in Südafrika und Namibia das Erbe der Kolonialisten ist – was übrigens stimmt, auch für ganz Lateinamerika. Dass diese Studien über Terrior und Geschmack fast immer falsch zitiert werden, stört nur jene, die sich genauer mit Wein beschäftigen. Hauptsache, jemand kann wieder einmal behaupten, die Weinenthusiasten würden seit Jahrzehnten ein gigantisches Märchen erzählen. „Schiefer in der Nase? Kalk am Gaumen? Vulkangestein, gar Feuerstein im Schluck? Alles Humbug!
So klingen Wissenschaftler mit Agenda, die es eben auch gibt, wenn sie glauben, die Naturwissenschaft verteidigen zu müssen. Und dort scheint eben klar, dass die Böden keinen oder keinen großen Einfluss auf das Lesematerial und die Weine haben.
Scheint!
Denn was in diesen Meldungen fast immer fehlt, ist der Teil nach dem Komma: Ja, Gestein selbst liefert keinen Geschmack. Aber ohne die Bodenorganismen, den Wasserhaushalt, die physikalischen Eigenschaften und die Stressdynamik des Bodens wäre jede Rebe so aromatisch wie ein Kühlschrank – innen. Genau das wird heute gern weggelassen. Nicht, weil es keiner weiß, sondern weil es niemand in einem 30-Sekunden-Clip erklären kann.
Und natürlich: Die Weinbranche ist nicht unschuldig. Jahrzehntelang hat man das Terroir erzählt, als würden die Reben nachts kleine Kalkpralinen knabbern oder tagsüber Feuerstein räuchern wie Teenager im Jugendzimmer. Aber diese Verzerrung ist wenigstens poetisch – im Gegensatz zur wissenschaftlichen Verkürzung, die aus Komplexität eine Schlagzeile macht. Die einen verteufeln Terroir als Aberglauben, die anderen verkaufen es wie Esoterik. Und beide liegen spektakulär daneben.
Der Wissenschaftler Alex Maltman, der seit Jahren versucht, diesem Unsinn die Schärfe zu nehmen, hat recht: Stein schmeckt nicht. Punkt.
Aber daraus abzuleiten, Terroir sei irrelevant, ist wissenschaftlich ungefähr so seriös, wie aus dem Satz „Zucker hat keine Farbe“ zu schließen, Schokolade sei unsichtbar. Der Boden bringt keinen Geschmack in die Traube. Aber er bestimmt, wie sich die Traube entwickelt, wie sie reift, welche Aromapräzision sie erreicht, welche Säure bleibt, welche verschwindet. Und wer das für unwichtig hält, darf gerne einmal Syrah auf Granit und Syrah auf Löss blind verkosten. Spoiler: Man erkennt’s. Auch wenn’s nicht „nach Stein“ schmeckt.
Ja, Gestein ist geschmacklos. Aber Gestein formt die Bodenökologie. Und Ökologie formt Önologie. Und Trauben formen Wein. Wenn man diese drei Schritte nicht auseinanderhalten kann, sollte man sich aus der Debatte heraushalten.
Dabei hätte niemand ein Problem damit, wenn Weinwelt und Wissenschaft gemeinsam sprechen würden. Aber das passiert nicht. Die Wissenschaft fordert Genauigkeit, die Weinwelt fordert Bilder. Die Wissenschaft sagt: „Gestein beeinflusst Wasser und Temperatur.“ Die Weinwelt hört: „Also doch mineralisch!“
Das Marketing sagt: „Vulkanböden sorgen für Feuer.“ Die Wissenschaft sagt: „Unwahrscheinlich.“ Die Kundschaft ruft: „Klingt geil, ich nehme zwei.“
Und die Wahrheit? Die sitzt in der Mitte und langweilt alle, weil sie kompliziert ist.
Man kann Gestein nicht schmecken. Aber man kann schmecken, wie Reben auf Gestein reagieren.
Man kann keine „Mineralität“ trinken. Aber man kann Präzision, Spannung, Kargheit, Wärmeverhalten, Stress und Wasserdynamik trinken. Man kann keinen Stein im Wein riechen. Aber man riecht (und schmeckt) die Reaktion einer Pflanze auf ihre Umwelt.
Nur klingt das eben weniger sexy als „Kalk“.
Die Weinbranche sollte endlich lernen, ehrlich zu kommunizieren, ohne ihre Poesie zu verlieren. Und ein Teil der Wissenschaft müsste endlich aufhören, mit platten Halbwahrheiten durch die Medien zu stolpern – und nach KLickzahlen zu geifern. Es bringt niemandem etwas, den Menschen ihre romantische Vorstellung vom Wein auszutreiben, nur weil sich Schlagzeilen besser verkaufen als Zusammenhänge.
Vielleicht ist das die eigentliche Crux: Die Romantik des Terroirs ist nicht falsch, sie ist nur falsch begründet. Der Mensch ist halt ein Geschichten-Tier. Er will wissen, warum etwas schmeckt. Und wenn das „warum“ bislang „Kalk“ hieß, dann ist das keine Lüge, sondern schlicht eine unpräzise Abkürzung. Eine unpräzise Akürzung, die jedoch alle verstehen, die Wein oft und gerne trinken.

Is’ a Spaß, und kost’ ned viel – Trinkt endlich mehr vom Federspiel
(Manfred Klimek / Björn Grebner – Foto) Ich sitze im warmen Licht der letzten warmen Sonnenstrahlen eines wie so oft inzwischen viel zu warmen Herbsts im Garten eines Fränkischen Gasthauses (Gasthauses klingt immer seltsam, aber es ist nun mal der Plural) – also; ich sitze im Gasthaus, vier Flaschen, vier Gläser vor mir, jede mit
(Manfred Klimek / Björn Grebner – Foto)
Ich sitze im warmen Licht der letzten warmen Sonnenstrahlen eines wie so oft inzwischen viel zu warmen Herbsts im Garten eines Fränkischen Gasthauses (Gasthauses klingt immer seltsam, aber es ist nun mal der Plural) – also; ich sitze im Gasthaus, vier Flaschen, vier Gläser vor mir, jede mit dem heiligen Urban auf dem Etikett. Man könnte meinen, ich hätte ein kleines Altartischchen gedeckt, für das Anhimmeln eines christlichen Würdenträgers. Doch die vier Flaschen wirken nur auf den ersten Blick sakral – eher stehen da vier aufmerksame Zeugen einer Zeitenwende. Wenn es einen Moment gab, in dem mir klar wurde, dass der Federspiel in der Wachau zurückkommt, ja zurückkommen muss, zurück in das Interesse auch der Weinenthusiasten, dann war es dieser: ein flight aus zwei Lagen, zwei Sorten, zwei Generationen – und alle vom Weingut Knoll – Anja, August und die beiden Emmerich Knolls.
Dabei war der Federspiel einst nicht die Kategorie für Nostalgiker oder Leichttrinker. In den 80ern war er die solide Mittelklasse der Wachau, so selbstverständlich wie der Schweinsbraten im Dorfgasthaus. Man füllte davon deutlich mehr ab als von den mächtigen Smaragden. Und die Steinfeder – heute fast verschwunden – stellte damals zusätzlich die unbeschwerte Alltagstrinkkultur dar: 10 bis 11 Prozent Alkohol, fruchtig, kühl, unkompliziert. Genau jene Weine also, nach denen der Markt heute verzweifelt sucht – vor allem für Frauen, die die dicken, fetten Männerweine satt haben.
Das System der Vinea Wachau war und ist klar gegliedert: Steinfeder für das Leichte, Federspiel für das Klassische, Smaragd für das Kraftvolle. Drei Etagen des Wachauer Ehrgeiz. Doch die Steinfeder wird leiser, wird vielleicht sogar sterben – nicht, weil man sie nicht braucht, sondern weil sie gegen das Klima ankämpfen muss. Und mitten in diesem Wandel steht der Federspiel plötzlich wieder glänzend da: leicht genug, um zu gefallen, ernsthaft genug, um zu bleiben.
Dass der Federspiel nun vielleicht zurückkehrt, liegt auch daran, dass die Zeit reif ist für Weine, die weder prahlen noch sich verstecken. Vielleicht sind es „Frauenweine“ im besten Sinn: zugänglich, aromatisch differenziert, nicht ideologisch aufgeladen. Vielleicht sind sie aber einfach die zeitgemäßeren Weine in einer Welt, die Eleganz und in sich ruhende “Bekömmlichkeit” (ein Wort, das Winzern und Weinhändlern auch heute verboten ist, werbewirksam einzusetzen) wieder mehr schätzt als Muskelspiel.
Und dann stehen diese vier Knoll-Federspiele vor mir – zwei junge 2024er, zwei gereifte Jahrgänge. Und alle vier sind eine Pracht
Die jungen 2024er
Der Grüner Veltliner Ried Trum Federspiel 2024 kommt leichtfüßiger daher als angenommen, aber nicht harmlos. Sortentypizität, klare Struktur, ein Wein, der nichts mehr will als sein, was er ist – und gerade darum in seiner Klasse (wir reden hier von rund 16 bis 18 Euro pro Flasche) brilliert und überzeugt.
Der Riesling Loibenberg 2024 ist der elegante Gegenpart: schmaler gebaut, ziseliert, mit jener Weite im Duft, die der Loibenberg immer schon hatte. Das ist die Sorte Federspiel, die sofort im Glas funktioniert: kühl, lebendig, präzise.
Die gereiften Flaschen – das eigentliche Wunder
Der Grüner Veltliner Ried Trum Federspiel 2016 zeigt in der Nase Marille vor Weingartenpfirsich, reife Veilchen, etwas Kamille, einen Hauch Orangenschale, dazu eine nussige Note mit brotigem Unterton. Im Mund reif, aber niemals müde; Paprika, weißer Pfeffer, Terroirsalze, supergering auch schwarze Trüffel und wieder dieses Roggenbrot. Ein Wein, der im frühen Alter fasziniert – ohne je zu schwächeln; auch noch nach Tagen in der offenen, gekühlten Flasche nicht.
Der Riesling Loibenberg Federspiel 2015 wirkt zehn Jahre später fast jugendlich – Steinobst, etwas Kohlrabi, Löwenzahn, Mohnblume, kalte Birne. Am Gaumen beeindruckend wach und präsent als wäre er aus 2019 oder 2020.
Bei beiden Weinen wird sichtbar, was wir in den letzten Jahren oft übersahen: Federspiele können reifen. Und wie! Zehn weitere Jahre mindestens, fünf darüber hinaus – in jener Morbidität, die Kenner verehren.
Was bleibt? Eine Erkenntnis, die sogar der heilige Urban abnicken würde:
Der Federspiel ist nicht jene zweite Liga, in der kraftweintrinkende Männer ihn die letzten 30 Jahre verschlagwortet haben. Er ist der Wein der Gegenwart. Und mehr noch der Zukunft.
Leicht, aber nicht leichtfertig.
Fein, aber nicht dünn.
Und genau hier, in dieser stillen Mitte zwischen tänzelnder Leichtigkeit und fruchtig-pfeffriger Würde, beginnt das alte Kapitel der Wachau jetzt neu. Wenn wir es wollen.

Im Schmerz geboren – the Tunes of two Countries inda Weinkrise
(von Manfred Klimek) „Im Schmerz geboren“ – so hieß vor zehn Jahren ein Tatort mit Felix Murot (Ulrich Tukur), der sich weniger um Morde (von welchen es in diesem Tatort viele gibt) als um Erkenntnis drehte. Ein Film über Verwundung und Selbstbefragung. Über das, was bleibt, wenn einer fällt und ein anderer wieder aufsteht. Vielleicht
(von Manfred Klimek)
„Im Schmerz geboren“ – so hieß vor zehn Jahren ein Tatort mit Felix Murot (Ulrich Tukur), der sich weniger um Morde (von welchen es in diesem Tatort viele gibt) als um Erkenntnis drehte. Ein Film über Verwundung und Selbstbefragung. Über das, was bleibt, wenn einer fällt und ein anderer wieder aufsteht. Vielleicht ist genau das, was den Unterschied erklärt zwischen dem, was ich in den letzten vier Tagen in der Wachau gesehen habe – und dem, was sich derzeit in Deutschland im Weinbau abspielt.
Während an Mosel und Rhein die Unruhe wächst, die Klagen lauter werden, Winzer über Rückgänge und Absatzschwund sprechen, herrscht in Österreich, in der Wachau, im Kamp- und im Kremstal, eine beinahe unverschämte Gelassenheit. Niemand jammert. Niemand spricht von einer existenzbedrohenden Krise – ohne die Situation gerade kleinzureden. Und das nicht, weil es keine Rückgänge gäbe – auch hier schrumpft der Weinmarkt, um rund drei Prozent, wie mir ein Geschäftsführer einer der großen Wachauer Genossenschaften sagte (und damit nicht seinen Betrieb meinte). Doch während in Deutschland drei Prozent Rückgang schon als apokalyptisch gelten, sieht man sie in Österreich als Teil der Herausforderung einer sich neu gestaltenden Zukunft.
Ich habe in den letzten Tagen auch in Deutschlnad mit Winzern gesprochen, deren Namen ich nicht nennen werde – denn ich habe ihnen Vertraulichkeit zugesichert. Einige deutsche Moselbetriebe, exzellent geführt, berichten von bis zu minus acht Prozent Export in die USA (neben einem unter Druck geratenden Inlandsmarkt, wo Schnäppchen den Ton angeben, diese deutsche Einzigartigkeit, den niedrigstren Preis vor bessere Qualität zu stellen). Für kleine deutsche Moselweingüter sind Exportrückgänge existenziell. Zwei Winzerfamilien, mit welchen ich telefonierte, denken ernsthaft ans Aufhören – vor allem, weil sie keine Möglichkeit erkennen, eine lang andauernde Absatzkrise durchzustehen, die noch dazu von Sober- und Dry-Kampagnen moralisch befeuert wird.
In der Wachau hingegen erzählt mir ein Winzer mit stillem Lächeln von einem Zuwachs von acht Prozent – ebenfalls in die USA, trotz Zölle. Wie er das geschafft hat? Mit klarem Konzept und ohne mit der Gegenwart zu hadern. Er setzt nicht nur auf seine hochwertigen Smaragd-Lagenweine, sondern auf ebenso hochwertige Terrassenweine einer einfacheren Smaragdkategorie, die in der Spitzengastronomie in Europa aber vor allem in den USA im Offenausschank funktionieren. Nicht mit Preisnachlässen, sondern mit Wertigkeit und Präsenz – und mit dem Angebot, ein Glas für $ 7,90 kennen zu lernen; in der Spitzen- und Szenegastro großer Städte
Aus Deutschland kenne ich kein Beispiel dieser Art. Dort wird diskutiert, ob man den Wein günstiger anbieten müsse, um den Markt zu halten. In der Wachau verschiebt man lieber den Fokus, bleibt aber bei der Würde des Produkts. Das ist kein Marketingtrick, sondern Ausdruck einer Haltung.
Natürlich, der Vergleich ist nicht vollständig fair. Die Wachau ist klein, von Weißwein dominiert, und dort, wo in beiden Ländern Rotwein produziert wird, sind die Absatzprobleme sicher größer – und bedrohlicher. Aber der Vergleich Wachau – Rheingau oder Wachau – Mosel ist legitim. Preisstruktur, Sorten, Exportmärkte, das Prestige der Lagen – vieles ist ähnlich. Nur die Stimmung ist anders.
Ein Grund des Andersseins liegt auch in den Genossenschaften. In Österreich sind sie nicht das Sammelbecken für Mittelmaß, sondern Motoren der Erneuerung.
„Wir verlieren kaum bis keine Marktanteile, denn wir schärfen unsere Weine an den Kanten.“, sagte mir ein Geschäftsführer einer Genossenschaft – ein Mann mit glasklarem Blick und ohne jedes Selbstmitleid.
Sie setzen auf Qualität, auf Diversifizierung, auf moderne Sidelines – Zitate der Naturweine, biodynamische Linien, kleine Experimente, die Moden aufgreifen, ohne sich ihnen zu unterwerfen. Alkoholfreie Säfte? Nein, das verwässere die Linie und bringe nichts. Jährliche Produktion: 2,5 Mio Flaschen.
In Deutschland hingegen hängen viele Genossenschaften noch in den späten Neunzigern fest, in einer Zeit, als Bio als Bedrohung galt und naturnah als Risiko. Der Staub dieser Haltung sitzt tief in den schlaff hängenden Klamotten.
Und dann der kulturelle Unterschied: Österreichs Weinbau hat nach dem Weinskandal von 1985 eine Art zweite Geburt erlebt. Klar ist heute: diese Zeit entlockt den damaligen Protagonisten nur mehr ein müdes Gähnen. Doch aus dem Schock wuchs ein intellektualisierter Weinbau, ein Denken in Zusammenhängen, das weit über Technik hinausgehen. Es entstand eine Generation von Winzern, die gelernt hatte, dass Katastrophe auch Läuterung sein kann. Dass man aus einer Krise nur dann zurückkehrt, wenn man sich ihr stellt – nicht, wenn man sie verdrängt. Und dass es einer Modernisierung der Verbände bedarf, einer Disruption, die Deutschland in seinem Bürkokratiewahn bislang immer vermied.
In Deutschland gab es zwar auch einen Weinskandal, aber kaum bis keinen echten kulturellen Wandel daraus. Keine neue Selbstbefragung, keine nationale Weinseele, die sich erneuerte.
Und damit sind wir beim dritten, dem vielleicht entscheidenden Unterschied: dem Weinpatriotismus. In Österreich trinken die Österreicher vor allem österreichischen Wein. Nicht aus Chauvinismus, sondern aus Selbstverständlichkeit. Wein gehört zur nationalen Kultur, wie das Theater, der Schmäh, der Dialekt. Und dieses Selbstverständnis wurde über Jahrzehnte gepflegt – durch positive, kontinuierliche Berichterstattung, durch Markenbildung, durch die Schaffung von Symbolen.
Lenz Moser IV etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, Winzer und Marketingexperte, hat mit seiner Kooperation mit dem Winzer Markus Huber im Traisental die Marke New Chapter für einen gewichtigen aber easy zu verstehenden Grünen Veltliner geschaffen, die über den Wein hinauswirkt – ein Symbol, wie es Italien mit Tignanello oder Frankreich mit Mouton-Cadet hat. Deutschland fehlt so etwas – ausgenommen Ernie Loosens US-Riesling. In Deutschland wird der eigene Erfolg gern dekonstruiert, bevor er überhaupt gefeiert werden kann.
Ich habe in der Wachau eine Stimmung erlebt, die man kaum planen kann: ein kollektives Grundvertrauen, dass Qualität sich durchsetzt, dass Wein nicht billig sein muss, um getrunken zu werden. Dieses Vertrauen ist kein Zufall.
Vielleicht ist das die wahre Lehre der aktuellen Krise: dass Deutschland noch nie gezwungen war, aus Schmerz heraus neu zu denken. Die Wachau, das Kamptal, das Burgenland – sie haben gelernt, dass Krisen das Bewusstsein schärfen. Sie haben den Mut entwickelt, sich nicht im Mangel zu definieren, sondern in der Haltung.
Ich glaube, deshalb jammern die Österreicher nicht. Sie wissen, dass man Wein nicht aus/mit Panik verkauft. Und sie wissen, dass der Wert eines Weins nicht an der Zahl der Flaschen hängt, sondern an der Klarheit, mit der er gekeltert wird.
Vielleicht wird auch in Deutschland eines Tages wieder weniger erklärt und mehr verstanden. Vielleicht muss der Schmerz erst kommen, damit das Bewusstsein reift. Vielleicht aber setzt sich die derzeitige Resignation durch, die das ganze Land zu erfassen scheint. Und das wäre für eine solch bedeutende Weinbaunation the bitter end.

Kleine Fluchten: die wöchentlichen Weintipps in der WELT am SONNTAG
(Manfred Klimek / WELT am SONNTAG) 15 Jahre Weinkritiker der WELT am SONNTAG. Neben der Kolumne gibt es unterhalb der Rezepte des famosen Küchenchefs Volker Hobl wöchentlich einen Weintipp von mir, der eine Speise Hobls begleitet – meist sehr mediterrane, sehr moderne und sehr gesunde Küche. Zuletzt erhielt ich öfter den Wunsch, ein paar dieser
(Manfred Klimek / WELT am SONNTAG)
15 Jahre Weinkritiker der WELT am SONNTAG. Neben der Kolumne gibt es unterhalb der Rezepte des famosen Küchenchefs Volker Hobl wöchentlich einen Weintipp von mir, der eine Speise Hobls begleitet – meist sehr mediterrane, sehr moderne und sehr gesunde Küche. Zuletzt erhielt ich öfter den Wunsch, ein paar dieser Tipps (die über die Jahre in Hunderte angewachsen sind) auch hier zu veröffentlichen. Dem komme ich heute erstmals nach. Leider habe ich keine Rechte, Volkers Rezepte mit zu veröffentlichen. So bleibt es bei den Tipps alleine. Und eurer Imagination, welche Speisen diese Weine begleiten. Der passende Titel der Weintipps heißt: Passt perfekt.
Passt perfekt: Spinat: da passt eigentlich eine Aromasorte gut dazu – aber nur, wenn sie nicht zu penetrant ist. Also kein Hammer-Sauvignon, sondern ein Traminer. Ich hole den Gewürztraminer 2022 von Györgykovács aus Somlo aus dem Keller, ein Wein, dessen Reben auf den Hängen des pittoresken Vulkanhügels unweit des Balaton wurzeln. In der Nase: Kamille, Rosenwasser, ein Tick Birne, ein Tick Aprikose. Im Mund dann das vulkanische Terroir – also Salz, Rauch und Feuerstein. Ein Traminer, wie es ihn – meines Wissens – so kein zweites Mal gibt.
Für € 21,90 bei www.borstore.de
Passt perfekt: Ein Riesling. Aber keiner aus Deutschland, sondern aus Spanien – und mithin eines der spannendsten Rieslingprojekte außerhalb Deutschlands. Ich hole den Ekam Essència 2021 der Bodega Castell d´Encús aus dem Keller, gekeltert von Önologen Raül Bobet – ein Mann, der Experimente liebt. Die Reben stehen in der Region Costers del Segre auf rund 1000 Meter Höhe, der Wein wird auch aus Botrytis-Trauben gekeltert – jede Edelfäule, die gute Süßweine massiv auszeichnet. In der Nase zuerst gering Steinobst, dann Quitte, danach auch Honignoten und sehr gering Akazie. Im Mund gering süß mit einem richtigen Wumms, den man in Deutschland sonst nur bei Großen Gewächsen findet.
Für € 49,90 bei www.vinoseleccion.de
Passt perfekt: Ein Pet-Nat, also ein Schaumwein, der nach der urtümlichen, vormodernen Art gekeltert wurde, wie sie in der Sehnsucht nach Ursprünglichem seit ein paar Jahren wieder in Mode ist; ein Pet-Nat aus dem Kamptal in Österreich: der Pet-Nat 2022 vom biodynamischen Winzer Fred Loimer – eine Cuvée aus Riesling, Muskateller, Grünen Veltliner und Chardonnay. In der Nase mega aromatisch: Quitte, Mandarine, Limette und gering auch nasser Bachbettkiesel und anschließend sogar ein Tick Meerschaum. Im Mund unglaublich saftig und animiernd. Weniger Sprudel, mehr Wein. Genial!
Für € 18,90 bei www.gute-weine.de
Passt perfekt: Ein alkoholfreier Sparkling-Tea in einer Schampusflasche mit Kronkorken, die aus einem köstlichen Saft aus Streuobstwiesen-Äpfel, fermentierter Knollensellerie und drei Kräutertees (Melisse, Pfefferminz und Lindenblüte) „gekeltert“ wurde: der Sparkling-Tea weiß der Sektkellerei Kloss an der Mosel – Julius Kloss war vor Jahrzehnten einer der Leute, die den berühmten Rotkäppchen-Sekt mit kreierten. In der Nase zuerst viel Umami, dann deutlich Kräuter und natürlich Apfel. Danach auch gering gelbes Curry und ein Hauch Korn (trotz 0% Alkohol). Im Mund ordentlich trinkanimierend. Und sicher kein Kopfweh am nächsten Tag.
Für € 10,95 bei www.weinfreunde.de
Passt perfekt: Ich wuchs bei meiner Großmutter in Wien auf. In der Nähe eines Marktes, der heute völlig gentrifiziert daherkommt. Früher gab es auf diesem Markt auch Wildhasen, die zum Abhängen aushingen – ich kenne also noch diesen Wildgeschmack, den natürlich einen großer französischer Bordeaux am besten begleitet: der Château Phélan Ségur 2005, ein Saint Estephe aus einem richtig großen Jahr – jetzt zeigt er die erste famose Trinkreife. In der Nase Cassis im Mittelfeld, feuchtes Leder in der Verteidigung, Gelbwurz im Tor und dunkle, blaue Beeren im Sturm. Im Mund das nahezu gleiche Geschmacksbild (was eher selten ist). Hach, du schöner, großer Wein!
Für € 105,00 bei www.vintage-grapes.com
Passt perfekt: Hefegebäck und Zwetschken: da passt, so ist es Tradition in der alten Welt der Weinkellner, ein Süßwein gut dazu. Ich sehe das nicht so. Hier begleitet ein furztrockener Rieslingsekt am besten. Und zwar der Rieslingsekt Extra Brut des irgendwie Avantgardeweinguts Von Winning in Deidesheim in der Pfalz. Und weil die dort mit Holz gut umgehen können, schmeckt ich das Toasting gut heraus – und es schmeckt fein. In der Nase Grapefruit, gering Birne, etwas Aprikose, danach Feuerstein und Gurke. Im Mund einfach nur klasse Trinkvergnügen – mit dem bisschen Mehr, das vielen anderen Winzersekten leider fehlt.
Für € 16,90 bei www.edelrausch.de
Passt perfekt: Süßsauer also. Da rate ich immer zu einem furztrockenen Weißwein. Und heute gehe ich in den Keller, um eine besondere Rarität rauszuholen: eine Cuvée aus Chardonnay. Garganega und Trebbiano. Was gleich nach einem Wein der önologischen Moderne klingt, ist gegenteilig ein Wein eines der ältesten und heute quasi fast vergessenen Weingüter Venetiens: der Bianco Secco 2023 der Winzer Quintarelli in Negrar (wo man das Weingut erst findet, wenn man Einheimische fragt). In der Nase erstaunlich viel Nuss, dann Mandeln, dann Aprikose, danach aufkommend rosa Grapefruit, Quitte und ein Tick grüne Birne. Im Mund dicht, voll, mit Druck – doch eher auf einen neutralen, zum Floralen hin tendierenden Geschmack gekeltert. Ein Stück altes Weineuropa.
Für € 40,90 bei www.tesdorpf.de
Passt perfekt: Honigmelone, Speck, Feigen, Grünzeug. Also Florenz, Bozen, Messina und die Felder der Emilia Romagna. Aber trotz dieser italienischen Erdung hole ich einen französischen Aligotè aus dem Keller, einen Weißwein, gekeltert aus jener burgundischen Sorte, die erst vor ca 20 Jahren als günstige Alternative zu Chardonnay wiederbelebt wurde: den Bourgogne Aligotè 2022 der Domaine Marquis de Angerville – ein Weingut, dessen berühmte Pinot Noir weit mehr als 100 Euro kosten. In der Nase Kräftig Limette, dann gering Mandarine, eine erstaunlich elegante Note von Wiesenkräutern und das sehr präzise eingesetzte Toasting. Im Mund einfach ein großer Weißwein eines großen Weinguts – für erstaunlich wenig Geld.
Für € 39,90 bei www.tesdorpf.de
Passt perfekt: Eine perfekte Speise, um Kindheitserinnerungen zu wecken. Doch da sind auch Chili und Knoblauch, wie auch die Limette, die nach einem gehaltvolleren Wein rufen – einem Wein von der Mosel. Aber kein Riesling, sondern der meiner Meinung nach beste Weißburgunder Deutschlands: der Pinot Blanc*** Wehlener Klosterberg 2020 von Markus Molitor, der vielen großen Burgundern in der Qualität sicher gleichwertig ist. In der Nase gigantisch Weingartenpfirsich, dann gering Steinobst und kalte Birne – und der Tick Schieferboden, den man nicht riechen kann, wie Experten sagen. Ich aber kann. Im Mund ein grandioses Spiel zwischen Holz und Frucht, das die Frucht immer gewinnt. Was ein Wein!
Für € 49,00 bei www.gute-weine.de
Passt perfekt: Der Tomatenorgie begegne ich nicht mit einem konternden Wein, sondern mit einem der angemessen begleitet, ohne die Tomate in den Hintergrund zu verfrachten, wie viele Weine es tun würden – besonders Rotweine. Ich aber hole trotzdem einen Roten aus dem Keller, den ich auf zwölf Grad gekühlt ins Glas gieße: den Julienas 2020 von Marcel Vincent (Domaine Jean-Jaques Vincent), ein Winzer, der als Kellermeister den Weine des bekannten Bugrund-Chateaux Fuisse eine neue Qualität gab. In der Nase weiße Kreide, Kirsche, dann auch Hagebutte und florale Düfte. Im Mund nie besitzergreifend, wie es die Sorte Gamay eben selten kann, sondern kühl und elegant.
Für € 21,90 bei www.deublers-wein.de
Passt perfekt: Gut möglich, dass Marco Polo das Süsßsaure aus China mitbrachte – wenn es so war, ist das Süßsaure in Sizilien gelandet. Und ich suche jetzt den passenden sizilianischen Weißwein im Keller: einen Wein, dessen Trauben aus einer höher gelegenen Lage kommen. Ich hole den frischen, knackig herben Animalucente 2024 der Contrada Santo Spirito hoch ans Licht – ein Wein von den Hängen des Ätna. Die Cuvèe: 66% Carricante und 24% Minella Blanca. Die Nase: Limette, gering Mandarine, viele florale Eindrücke, gering Wiesenkräuter, Feuerstein und zuletzt gelbe Früchte. Im Mund überwiegt Trinkvergnügen vor der intellektuellen Auseinandersetzung mit dem vulkanischen Terroir.
Für € 27,90 bei www.tesdorpf.de

Genau null Zwerg, Knolls Riesling Kellerberg – Tenor eines Hausbesuchs
(Manfred Klimek Text & Foto) Er sitzt am Tisch, die Hände zuerst ruhig, dann die Flasche Riesling tätschelnd, die grüne Flasche am Tisch, die mit dem Heiligen, dem Bischof, auf dem Etikett – dieses kleine barocke Theater, das Weinkennern wie Gelegenheitstrinkern seit 1961 sagt: Hier wird nichts modisch erfunden, hier wird zeitgemäßes Keltern stets als
(Manfred Klimek Text & Foto)
Er sitzt am Tisch, die Hände zuerst ruhig, dann die Flasche Riesling tätschelnd, die grüne Flasche am Tisch, die mit dem Heiligen, dem Bischof, auf dem Etikett – dieses kleine barocke Theater, das Weinkennern wie Gelegenheitstrinkern seit 1961 sagt: Hier wird nichts modisch erfunden, hier wird zeitgemäßes Keltern stets als Teil einer 600 Jahre alten Tradition verfeinert. Emmerich Knoll senior, der große alte Mann der Wachau, ist keiner für große Worte. „Wir machen das so, wie wir’s immer gemacht haben – nur besser verstehen wir’s inzwischen“, sagt er und lächelt in sich hinein. Knoll lässt seine Weine sprechen, die er seit Jahren mit seinem kongenialen Sohn Emmerich jun., einem in seinem Wirken noch zu gering erkannten, echten Erneuerer keltert. Der Jahrgang 2024 klingt bei diesem Riesling Kellerberg wie ein frisch gestimmter Flügel.
Ich rieche ins Glas und muss zweimal diesen Duft nachziehen: Der Wein ist in der Nase zuerst zurückhaltend, beinahe scheu – doch wie ziseliert die Knolls die Frucht setzen! Pfirsich, Marille, Quitte, alles in hauchdünnen Schichten, ohne Parfüm, ohne Zuckerpinsel. Hier wird Nüchternheit zur Verführung. Das ist kein Duft, der sich anbiedert; es ist ein Duft, der Ordnung schafft.
„Der Kellerberg ist kein einfacher Weinberg,“ sagt Knoll, „der zwingt dich zur Geduld. Da darfst nix herausholen wollen, was nicht von selbst kommt.“ Der Kellerberg – Terrassen, karger Urgesteinsboden, kühle Durchzugluft der Donau – ist ein Lehrmeister der Balance. 2024 zeigt er den Charakter eines großen klassichen Dirigenten, aber ohne die frühere, wuchtige Rüstung mancher Smaragde. Der Wein zieht nicht an, er zieht ein: in den Gaumen, in die Gedanken. Am Beginn die leise, saftige Gelbfrucht, dann strafft sich alles – wie wenn ein Dirigent in der Generalprobe die Tempi korrigiert. Plötzlich ist da diese mineralische Linie, kein Steinbruch-Spektakel, sondern das feine Salz der Terrassen, messerscharf gefasst und doch nie hart. Man kann darüber reden, ob man „Terroir“ schmecken kann. Hier kann man es, weil die Frucht Platz macht für das, was darunter liegt.
Im Mund entfaltet sich, was in der Nase nur angedeutet war: eine der schönsten Ausarbeitungen mineralischer Salze, die ich in der Wachau je getrunken habe. Das ist präzise Kelterkunst, aber ohne Technokratie – eher ein Johann-Strauß-Walzer höchsten Niveaus: Schwung, Eleganz, das Lächeln im Takt, und unter allem eine eiserne Disziplin. Der Abgang ist lang, sehr lang, dabei kühl und glockenklar. Nichts rührt an, was nicht nötig ist.
„Wir tun heute weniger im Keller als früher,“ sagt Knoll, „weil das Lesegut mehr kann, wenn man’s in Ruhe lässt.“
Der 2024er erzählt zugleich etwas Neues. Nicht laut, aber bestimmt. Er deutet einen Wachauer Rieslingstil an, der die barocke Fülle nicht verrät, sie aber verschlankt: weniger Muskulatur, mehr Faser; weniger Schwere, mehr Tiefenschärfe. Es ist, als hätte Knoll die Schraube um eine halbe Umdrehung gelöst – nicht um gefällig zu werden, sondern um die innere Spannung besser hörbar zu machen. Man spürt das Vertrauen ins Lesegut, in die Selektion, in die Geduld des Ausbaus. Keine breiten Gesten, keine modische Reduktion um der Reduktion willen. Stattdessen Präzision, Timing, eine ruhige Hand.
So steht der Wein vor mir wie eine Summe aus Jahrzehnten Erfahrung – und doch mit der wachen Neugier eines Hauses, das sich nicht auf seiner Ikone ausruht. „Wenn ein Wein jung schon klar redet, ist das gut. Aber wichtiger ist, dass er in zehn Jahren noch was zu sagen hat,“ sagt Knoll.
Der Kellerberg 2024 ist Kunst aber kein Kunststück, er ist ein Argument: für Geduld, für Maß, für die Kunst, den Ton zu treffen, nicht die Lautstärke. Wer ihn jung öffnet, bekommt die Linie, das Salz, dieses kleine elektrisierende Flirren. Wer ihm Zeit gibt, wird die Frucht in Kammern entdecken, die jetzt noch geschlossen sind. Beides ist richtig. Und richtig gut.
Ich nehme einen letzten Schluck und denke, dass diese Flasche ein Versprechen in sich trägt: Die Wachau kann – ohne ihr Wesen zu verraten – noch präziser, noch eleganter werden. Emmerich Knoll senior und Emmerich Knoll junior müssen das niemandem erklären. Sie füllen es ab.
