Ein Podcast, der Kult ist. Ein Podcast eines Sommeliers und eines Rappers. Ein Podcast namens Terroir und Adiletten. Ist er das, was man hört? Eine Verhandlung.
Hohes Gericht. Ich spreche im Namen der Verteidigung und möchte sechs Zeugen aufrufen. Die erste Zeugin heißt Berlin und ist eine Stadt, die die letzten zwölf Jahrzehnte mit einem zweifelhaften Ruf zu kämpfen hat. Berlin kann heute hier bei Gericht nicht persönlich anwesend sein, denn, was sie sicher berücksichtigen werden hohes Gericht: Berlin ist eine Stadt mit vielen Gesichtern und in dieser Schizo auch immer Patient – also stationär. Aber ich erlaube mir, für Berlin zu sprechen. Berlin: Das ist der Wohn- Lebens- und Arbeitsort aller hier angeführten Personen, vor allem aber der Herren Wilhelm (Willi) Schlögl und Sebastian Moser, wegen seiner Haarpracht nur Curly genannt. Diese beiden Personen sind anwesend und werden sich später hier äußern. Berlin wird nachgesagt, dass in die Stadt vor allem Leute zuwandern, und sowohl Schlögl als auch Moser sind solche Migranten, die ein „Projekt“ haben, dieses Projekt aber nicht durchsetzen, nie verwirklichen können. Das mag in vielen Fällen wahr sein, ist es in diesem Fall aber nicht. Hinter solchen Gerüchten steht meist eine Kamarilla von Kleinstadt- und Landpomeranzen beider Geschlechter (Zwischenruf des Gerichts: „Mäßigen Sie sich, Herr Verteidiger“); Deutsche, die Berlin von Herzen verachten, weil die Stadt alle Lichter des Landes stets und in jedem Sinn, positiv oder negativ, auf sich zieht. Aber Berlin, meine Zeugin, steht da weltweit nicht alleine da: Die Franzosen reden negativ über Paris, die Italiener negativ über Rom und die Österreicher negativ über Wien. Das ist Schicksal. Wir aber, Verteidigung und Zeugen, aber sagen: Erst Berlin hat den hier verhandelten Gegenstand, das Podcast „Terroir und Adiletten“ erst möglich gemacht. Denn nur Berlin hat diesen Sound für Kreativität, hat diesen Ruf, doch zu tun, was gut und richtig erscheint, den sonst nur Städte wie London oder New York haben. Ohne Berlin und seiner Aura, ohne dem Astralleib Berlins, wäre das Projekt nicht „gewuppt“ worden – um hier mal auch einen Umgangston anzuschlagen.
Der zweite Zeuge heißt Podcast und ist heute, so wie die Zeugin Berlin, auch nicht anwesend. Das hat den schlichten Grund, dass Podcast eine technisch-journalistische Installation ist und nicht als Person sprechen kann. Das Podcast, hier sächlich, weil divers und keinem Geschlecht zuzuordnen, wurde lange Jahre, so wie Berlin, skeptisch betrachtet; und das nur aus einem Grund: alteingesessene Radiomacher befürchteten Konkurrenz, die ihnen auf die Schlipse tritt. Und genau das hat Podcast auch getan: auf die Schlipse treten, denn das Format hat ein Open-End und kann auch 24 Stunden dauern, wenn genug zu labern da ist – dieses Format entgegnet dem starren Format Radio und seinen starren Sendezeiten. Und Podcast hat noch ein Weiteres getan: Podcast, meist von jungen Leuten akzeptiert und gehört, hat jene Lügen gestraft, die stets dauerhaft behaupten, die Jugend oder/und alle, die sich als jung erkennen, könnten keine Konzentration beim Hören mehr aufbringen. Diese Vorurteile hat Podcast beiseite gewischt und vor allem dieser Podcast hier, das Podcast Terroir und Adiletten, wird fast ausschließlich von Menschen zwischen zwanzig und vierzig Jahren wahrgenommen und gehört. Und weil das inzwischen bei jedem der wöchentlichen Podcasts von Terroir und Adiletten so um die hunderttausend Personen sind, gilt dieses Podcast, das eigentlich nur eine Nische bedient, die Nische Weinbau, Weintrinken und vereinzelt auch Gastronomie, als maximaler Erfolg. Ich möchte das Hohe Gericht bitten, diese Umstand zu berücksichtigen.
Die Verteidigung möchte nun die Willi Schlögl und Sebastian Curly Moser aufrufen. Die beiden Personen kurz erklärt: Schlögl gilt seit seiner Tätigkeit als leitender Sommelier bei der inzwischen zu einem ganz wunderbaren Sternrestaurant namens Cordo umgewandelten Cordobar, auch so ein Platz, wie er nur in Berlin existieren konnte, als Koryphäe in Sachen Erklärbär für Weine. Es sind seine offene Art und seine noch gemäßigt erkennbare steirische Muttersprache, die hier Vertrauen vermitteln. Sebastian Curly Moser hingegen, ein Mann, der in einem Clip im Bademantel und mit rosa Höschen auftritt und dort verkündet, seiner Eier nicht zu rasieren (Zwischenruf des Gerichts: „Das tut hier nichts zu Sache. Unterlassen Sie solche Feststellungen, sonst muss ich sie aus der Verhandlung ausschließen“); Sebastian Moser hat mit Wein eigentlich wenig zu tun und ist ein unguided missile im Podcast, weil er die Fragen stellt, die eigentlich nicht in einen Weinpodcast reinpassen, weil seine Frage wenig mit Wein zu tun haben. Weiters sind da die Herren Jens Darsow und Steffen Gottwald aufzurufen, die dafür sorgen, dass dieses Podcast Terroir und Adiletten produziert, finanziert und ausgestrahlt werden kann – beide Personen bitten aber, hier im Hintergrund gehalten zu werden.
Ich möchte das Gericht und die Anwesenden bitten, uns nun in das Lokal „Freundschaft“ zu folgen, in welchem Moderator Schlögl heute tätig ist – selbstredend steht diese „mittlerweile Institution“ auch in Berlin und ist Montag bis Freitag so voll wie einst die Cordobar. Es ist ein Mittwoch in der Woche, es schlägt Punkt zehn Uhr vormittags und Schlögl sitzt alleine am Tresen und bereitet die Fragen für seinen heutigen Gast, den fränkischen Ausnahmewinzer und Spitzenkoch Christian Stahl vor.
Wie geht es Ihnen, Herr Schlögl?
Ich habe vier Stunden geschlafen, denn der Abend in der Freundschaft wurde wieder ein früher Morgen. So geht es mir.
Ist es nicht ein bisschen spät, nur zwei Stunden vor Beginn der Aufnahmen, die Fragen zu entwerfen?
Die Fragen sind eigentlich weniger Fragen als Themenblöcke, Bezugspunkte zur Person. Denn eigentlich entwickelt sich alles im Gespräch.
Sie trinken dann mit Ihren Gästen im Podcast zwei Flaschen Wein..
.. eher drei bis vier ausgesuchte Weine, die der Gast mitbringt. Aber wird sind ja auch drei Personen, da geht das schon..
..meine Frage zielt darauf ab, der Anklage Wind aus den Segeln zu nehmen. Ist ein Podcast unter moderatem Alkoholeinfluss, um die Liter wollen wir hier nicht streiten, nicht generell zum Scheitern verurteilt?
Ganz im Gegenteil. Dann wird es erst lustig. Ich gebe aber zu, dass wir manchmal, wenn wir zwei Podcasts hintereinander aufnehmen, am Ende ein bisschen unsachlicher drauf sind.
Wir wechseln in das Hotel Orania in Berlin-Kreuzberg, wo die Aufnahmen des Poscasts in einer Suite stattfinden. Das erschien den Machern Darsow und Gottwald genehmer, als Schlögl, Curly und die Gäste in einem kargen Aufnahmestudio einzusperren, jenem Ort, wo Podcasts für gewöhnlich aufgenommen werden. Sebastian Curly Moser kommt wie immer erst zur Aufnahme und einen Tick zu spät ans Set.
Sagen Sie, Herr Curly, bereiten Sie sich gar nicht vor?
Ne, das tue ich eigentlich nie, denn mir fallen die adäquaten Fragen immer im Gespräch ein.
Sie sind also der Anarchist hier?
So könnte man sagen, ja. Das heißt aber nicht, dass die Fragen anarchistisch sind, denn ich frage das, wovon ich denke, dass es die Hörer zusätzlich zum Thema interessiert. Und das kann dann auch sehr dicht werden, sehr nahe an der Person.
Gab es schon mal „beef“?
Ne. Kaum. Was es schon mal gab, war, dass meine Fragen den Sound des Podcast etwas verändern.
Sie hatte ja vor diesem Podcast mit Wein wenig am Hut.
Genau. Eigentlich haben mich Weine null wirklich interessiert – außer als Rauschfaktor. Dass da aber so eine Welt sich öffnet: das hat mir erst der Willi klar gemacht. Er hat die Tür geöffnet und ich bin eingetreten.
Das Podcast mit Christian Stahl, Hohes Gericht, können sie auf der Homepage abrufen oder gogeln.
(Das Gericht ruft den Vertreter der Anklage auf.)
Hohes Gericht, ich als Vertreter der Anklage, möchte zwei Punkte vorbringen, damit dieses Kultpodcast hier nicht ganz so bejubelt wegkommt. Da ist zuerst die wirklich wahrnehmbare Überlänge der Podcasts. Vieles wiederholt sich in den vielen Minuten jeder Sendung. Das ist zwar in den meisten Fällen für die Atmosphäre gut, dann aber doch redundant. Und manchmal, so wie in der echt bemerkenswerten und hörwichtigen Folge mit Sepp Schellhorn, dem klassischen Old-White-Man-Gastronomen, der aber in Österreich auch ein angesehener liberaler Bundespolitiker war und wieder sein wird, der also mehr und Gewichtiges zu sagen hat; in dieser Folge mit Schellhorn war die Alkoholisierung aller Anwesenden zu Ende hin zwar amüsant zu hören, hat aber das Gewichtige des Inhalts penetriert. Zu vieles scheint uns dann doch zu viel der Plauderei überantwortet. Und zweitens ist dieses gesellschaftlich relevante Podcast gesellschaftlich auch relevant leider ein Podcast, in welchem fünfzig Prozent der Menschheit, also Frauen, schon aufgrund des Geschlechts der beiden Moderatoren ein untergeordnet scheinender Faktor beschieden ist. Hier sieht die Anklage, die Kritik, Möglichkeiten nachzubessern.
Hohes Gericht! Gibt es ein Urteil?
Liebe Leserin und lieber Leser dieser Verhandlung. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Ein Urteil ist nicht vor 2031 zu erwarten (denn Berliner Gerichte arbeiten sehr langsam) und wird dann in einem Podcast veröffentlicht. Wenn dann die Welt noch steht