Da ist ein anderes Frankreich, abseits der so richtig zivilen „Weinwege“, die wir gerne gehen; da ist ein anderes Frankreich, der wilde Südwesten, weit weg von Paris und der Côte; da ist ein anderes Frankreich, heiß, trocken, auch immer noch vom Mittelalter geprägt, von den Templern und dem frühen Christentum und auch einem frühen Weinbau: die Gegend vom Minervois rauf in das Pays Basque, das französische Baskenland, die Jahrhunderte lang zwischen Frankreich und Spanien umstrittene Pyrenäengrenze der Freischärler und Schmuggler, eines der immer noch wilden Gebiete Europas – auch wenn inzwischen politisch stabiles Unionsgebiet.
Entweder du bist hier geboren und atmest das Wilde, das hier in den dünn besiedelten Gemeinden geatmet wird. Oder du ziehst hierher, um etwas hinter dir zu lassen und mit etwas Neuem zu beginnen – fernab des Getöses der nationalen Wirtschaftsmetropolen. Lebst du im Südwesten, dann bist du anders, bist speziell. Und so sind auch deine Güter, deine Weine.
Groß, größer, Gros
Anne Gros wollte ihr Weingut im Burgund sicher nicht hinter sich lassen. Und ließ es sicher nicht hinter sich ganz im Gegenteil. Aber sie wollte Wein auch dort machen, wo er in Frankreich von den Römern einst schon früh hingestellt wurde: in Cazelles, einem Dorf auf der Strecke zwischen Narbonne an der Küste und Toulouse, wo heute die Airbus-Zentrale die Wirtschaft dominiert. Touristen kommen hier nur selten her.
Anne Gros und ihr Partner Jean-Paul Tollot haben in diesem Kaff Cazelles vor rund zehn Jahren ihr Weingut „L’ O de la Vie“ gegründet und das Paar – in seinen Vierzigern und Fünfzigern – füllt im Minervois eine beachtlich vielfältige Zahl von exzellenten Rotweinen ab, die allesamt erstaunlich preisgünstig und verblüffend preiswert sind. Die Hauptsorten der beiden Winzer sind Carignan, Grenache, Syrah und Cinsault, die Gros und Tollot gerne auch verschneiden – was sie wirklich gut können.
Nun kann man den Wert der Lagen im Burgund nicht auf den Wert der Lagen im Minervois übertragen – schon wegen der geringen Dichte guter Winzer hier. Aber der Boden der Weinhänge von Gros-Tollot’s Unternehmung ist mega-vielfältig (Kalk, Ton & Sand im Mergel) und lässt zu, dass sie Weine mit einem ausgefeilten Terroir-Charakter keltern, die geschmacklich bei KATE & KON zu den archaischeren Weinen zählen, die aber die Eleganz der burgundischen Handschrift verpflichtend zur Schau stellen – Weine zu Wild und rotem Fleisch; Weine, die von Innen wärmen, wie ein sanft loderndes Kaminfeuer; Weine zudem, die man auch für Jahre in den Keller legen kann. Und Weine, die selten wer kennt; Weine die überraschen.
Vingrau, voll Farbe!
Vingrau: Das klingt wie die Schweizer Heimatgemeinde für Grauburgunder, ist aber ein Weindorf nahe der Rivesaltes-Region in der Nähe von Perpignan. Ist das Minervois noch verglichen grün, so knallt hier die Hitze so richtig auf die Weinstöcke und das spärliche Gras ist schon im Juli gelb und verbrannt. Ist das dann eine schlechte Weingegend? Ganz im Gegenteil, denn die Reben brauchen ja die Hitze, damit sie tief in der Erde unter Stress Wasser suchen. Der Winzer muss nur wissen, wo er Blätter lässt, die den Beeren Schatten spenden.
Hier, in Vingrau, keltert der ehemalige Spitzensommelier Hervé Bizeul auf seiner Domaine du Clos de Fées. Und er kann eine Geschichte erzählen, wie wir sie lieben: seine Geschichte von seinem Anfang mit genau null Francs (1998, noch vor dem Euro) und einem Freund mit Weinstöcken und einer Garage, wo man mit einfachsten Mittel begann, Weine zu machen. Bizeul, der vorher nie gekeltert hatte, kelterte von Beginn an großartige Rotweine aus den hier ansässigen Sorten Grenache, Carignan, Syrah und Mouvedre. Dieses Instinktkönnen bescherte ihm gleich die Aufmerksamkeit der Medien, die hungrig nach Geschichten dieser Art waren. Und so wurde aus der Garage ein richtig schönes Weingut, in dem aber Pferde die Weingartenpflüge ziehen, denn Bizeul will, das hier alles so geschieht, wie vor Jahrzehnten, vor der industriellen und chemischen Revolution im Weinbau. Und weil wir von der Wineparty im Weinbau einen antiindustriellen Standpunkt beziehen und diesen auch leben, gehören die Weine von Bizeul (wie jene von Anne Gros und Jean-Paul Tollot) zu einer Art Weinkulturerbe, das wir tunlichst pflegen. So lange wir leben.
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