Wein ist in der Krise. Wein steht vor Gericht. Die Neue Wineparty ist angetreten, das kultigste Getränk der Geschichte vor Gericht zu vertreten. Mehr als nur eine Verteidigung.
Wein ist in der Krise. Die kam nicht aus dem Nichts. Aber dieses Jahr wurde sie rasch und überraschend heftig. Vor allem bei Rotweinen. Rotweine, besonders jene des alten, klassischen Schlags, auch jene mit großen Namen, durchleben eine Talfahrt an Bestellungen, die in der Weingeschichte ihresgleichen sucht. Und es ist ausgerechnet die über Jahrzehnte belächelte, ja verachtete Weinfarbe Rosé, die heute der nach Halt suchenden Weinbranche unglaubliche Prozentzahlen an Wachstum beschert. Allerdings von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend. Rosé kann die Verluste bei Rotwein, die 2024 dramatisch auffällig werden, nicht ausgleichen.
Bevor das hier wie der Aufbruch in ein Jammertal klingt, eine Personenangabe als first thing first: ich möchte mich als Herausgeber der Neuen Wineparty vorstellen. Ich habe mal, vor 30 Jahren, ein Weingut in der Toscana mit gegründet (kann man „gugeln“), dann – und gleichzeitig – über Wein zu schreiben begonnen, dann über Wein lange bei DIE ZEIT geschrieben, bevor ich mit meinem Weinjournalismus vor 14 Jahren zur WELT am SONNTAG wechselte, wo ich seither wöchentlich über dieses alte, megadiverse und absolut kultige „Lebensmittel“ schreibe. Gemeinsam mit Stephan Reinhardt von der FAZ bin ich jener Weinjournalist, der im deutschsprachigen Raum zur Zeit in Sachen Wein die meisten Leser abholt.
Und wenn ich das lese, das, was ich gerade über mich schrieb, dann will ich mich gleich selbst vom Sockel stürzen. Denn Leute wie ich sind für die derzeitige Weinkrise mit verantwortlich: alte Knacker, die die vierzig Jahre Weinboom mit gestaltet haben, die die vierzig Jahre geiles Saufen ohne einen Gedanken an ein Morgen lebten und priesen. Nun sind wir alt, das Morgen ist da, und wir Alten könnten uns gut und gerne zum Sterben hinlegen – dankbar, nur die geilen Zeiten abbekommen zu haben.
Aber so sind wir nicht. Jetzt von Bord zu gehen wäre feige.
Weinkrise also. Ist die wirklich soooo schlimm? Stehen tausende Winzerbetriebe knapp davor zumachen zu müssen?
Nein. Denn Winzer kennen schwache und starke Jahre seit jeher aus den Zyklen der Wetter. Nicht jedes Jahr bringt die gleichen Erträge. Klima und Wetter können die Winzer weltweit nicht zu ihren Gunsten steuern; Klima und Wetter geschehen einfach weil sie geschehen. Gegen die Auswirkungen des Klimawandels hilft eine neue, geschickte Landwirtschaft, die den neuen Gegebenheiten zum Beispiel mit Laubschnitt-Methoden entgegensteht. Es gilt: Auch extremen Klimalagen können die Winzer begegnen. Kostspielig zwar. Aber möglich.
Weinkrise also. Ist die wirklich soooo schlimm? Stehen tausende Winzerbetriebe knapp davor zumachen zu müssen?
Nein. Denn nicht jedes Jahr brachte und bringt seit jeher die gleichen Einnahmen. Markt und Business aber können die Winzer weltweit sehr wohl – und anders als Klima und Wetter – ein bisschen und auch ein bisschen viel steuern. Mit neuen Kreationen, mit neuen Weinen etwa. Und genau das haben die Winzer die letzten 40 Jahre auch getan. Sehr erfolgreich sogar. Doch dann begann die Branche sich den Tick zu viel zu feiern und das bisschen Mehr auf den Lorbeeren auszuruhen als angesagt gewesen wäre.
Weinkrise also. Ist die wirklich soooo schlimm? Stehen tausende Winzerbetriebe knapp davor zumachen zu müssen?
Ja. Vor allem als ausschließlicher Rotweinwinzer wird es eng werden. Und nicht nur die kommenden paar Jahre, sondern leider viel länger. Die Subskriptionen, also die Vorbestellungen namhafter Rotweine aus dem Bordelais (Bordeaux) und, geringer, aus Burgund gingen dieses Jahr um bis zu 80 Prozent zurück. Bis! Zu! 80! Prozent! Würde dasselbe im deutschen Maschinenbau geschehen, wäre Land unter! Und zwar total. Das heißt: Alle Rotweinwinzer, auch jene, die alle Weinfarben keltern, müssen überlegen, wo ihr Produkt im Jahr 2030 stehen soll. Ist es noch tauglich für den Markt? Erreicht es auch junge Weintrinker?
Weinkrise also. Ist die wirklich soooo schlimm? Stehen tausende Winzerbetriebe knapp davor zumachen zu müssen?
Ja. Vielleicht nicht knapp davor, aber auf längere Sicht betrachtet, ist das Weinmachen, das Winzern, in etwa ein Beruf wie Motorkonstrukteur – Vergasermotor freilich: perfekt entwickeltes Handwerk am Höhepunkt seines Seins, im Zenit der Moderne sogar – aber leider der gestrigen Moderne.
Es war vor allem der Rotweinboom in den so genannten Schwellenländern, der die Preise vieler, fast aller Rotweine seit der Jahrtausendwende enorm steigen ließ. Viele Weinkomsumenten haben das nicht vergessen: dass sie sich die „gute Flasche Bordeaux“ quasi über Nacht nicht mehr leisten konnten. Und auch österreichische oder deutsche Rotweine über 30 Euro, und die gibt es nicht gering, stellen die Frage, ob dieser Markt in Zukunft noch da sein wird. Oder ob er in einem fulminanten Finale im Weinmarkt nicht mehr der größte Markt im Weinmarkt sein wird.
Und dazu kommen gesellschaftliche Entwicklungen, die fast alles in Frage stellen. Rotwein, dick und fett, das ist „Alter-Mann-Wein“: Wein für die gesicherten Stände, die jungen Weintrinkern den Buckel runterrutschen können. Ja: Frauen trinken mehr Wein als früher. Aber Frauen begeistern sich wenig für Rotweine – eben auch, weil die so ein Männerding sind. Und Männerdinger sind out. Für länger.
Rosèweine, Schaumweine, auch Schampus, gut gekelterte einfache und gehobene Weißweine: Der Zug dieser Weine rollt noch etwas länger. Rotwein aber benötigt nun eine schnellere Lokomotive – eine andere, eine bessere, eine neue Erzählung.
Fast alle Winzer müssen sich gewahr sein, auf einen schrumpfenden Markt immer mehr Flaschen absetzen zu wollen. Ja, klar, und das ist super: Es gibt eine Bewegung junger Winzerinnen, Winzer, Sommelieren und Sommeliers, die gemeinsam mit jungen Weinenthusiasten eine bemerkenswerte und wahrnehmbare Szene stellen. Doch diese enthusiastische „Weinjugend“ stellt eine kleine Minderheit unter jungen Weintrinkern dar, die Wein kaum noch zum Essen trinken, sondern mit Wein, vor alle mit Schaumwein, Party machen.
Der schrumpfende Markt ist einfach da. Das nennt sich demographischer Wandel. Es gibt heute rund 40% weniger Jugendliche als 1990. Dazu kommt die Tatsache, die viele aus vielen Gründen nicht sehen wollen: nämlich dass von den verbleibenden 60% Jugendlichen wieder fast 40% einen Migrationshintergrund mit islamischen Wurzeln haben – das bedeutet, dass Wein nicht zu ihrer Lebenskultur zählt, und auch nur gering zählen wird.
Ich höre oft die Sätze:“Das gibt sich wieder. Wenn die Jungen ins Verdienen kommen, dann werden sie auch gute Weine kennenlernen und trinken wollen, wie das immer schon war. Nur ist diesmal besonders und nicht „wie es immer schon war“. Und weil jetzt alles so anders ist, anders, als wir Boomer, die hier auch schreiben, es wahrhaben wollen, bedarf es erneut, wie schon vor 15 Jahren, einer Erzählung über Weine, die alle interessiert, die alle mitnimmt, die alle begeistert.
Die Neue Wineparty ist angetreten, der Krise gegenzusteuern. Die neue Wineparty ist angetreten, hierbei auch weltweit zu agieren. In unserer App kann jede und jeder von überallher ihren/seinen Wein, den sie/er trinkt, mit Foto und Wertung in seiner Muttersprache einstellen und die Reaktionen auf sein Post in seiner Muttersprache lesen. Und die Wineparty-App kommt nicht so altvatrisch daher, wie Apps, die es jetzt schon gibt und die, nach erfreulichen Einstiegen vor Jahren, heute vor allem von einer dem Insidersprech zugewandten Community beherrscht werden – genau das, was nicht sein sollte.
Wein muss wieder zum Leben der Menschen gehören wie es vor zehn Jahren noch der Fall war. Wein muss von seiner wahrhaft unglaublichen Diversität erzählen. Und nicht technische Datenblätter zum Lesen feilbieten, die nur Winzer interessieren. Denn Wein, und das ist das Erfreuliche, ist eines der wenigen absolut analogen Genussmittel (heute wird vor allem Digitales genossen), etwas Absolutes aus der analogen Welt, das ganz sicher überleben wird. Anders: noch mehr diverser, frischer, leichter, ideologischer auch, jünger. Je mehr junge Winzer sichtbar werden, umso mehr junge Weintrinker wird es geben. Und nur um das wird es in der Branche gehen. Wenn sie erkennt, was auf sie zukommt.
Die Neue Weinparty wird vom Gestern gerne erzählen. Aber vor allem die Erzählungen des Morgen, der morgigen Moderne zeitigen. Damit, wie man in Wien gerne sagt: „endlich aa amoi was weitergeht.“