Tap, tap, tap: Meine Finger hämmern auf der Tischplatte. Immerhin, als des Schlagzeugs mächtig, trommeln sie einen Rhythmus. Tap, tap, tap, taperapp, da tapp: Ich warte auf ein Paket aus Portugal, das schon längst bei mir hier in Berlin sein sollte, damit ich die zweite Flaschenauswahl jenes portugiesischen Weinguts aus dem Alentejo in den Händen halte, von dem ich vor vierzehn Tagen ankündigte, heute von ihm zu erzählen. Diese zweite Flaschenauswahl soll mir vom neuen Jahrgang des Weines und der anderen Weine des Weinguts kundtun. Damit die Erzählung eine aktuelle Erzählung ist.
„Is nich“, wie man hier in Berlin sagt. Denn die Weine, so unterrichtet mich eine Mail, sind in Wien gelandet, wo ich lange auch eine Wohnung hatte.
Das heißt, dass ich Sie heute in Sachen Portugal auf einen späteren Beitrag vertrösten muss. Denn für Sie und diesen Wein, diese Weine und dieses Weingut fahre ich gern man wieder runter nach Wien, wo ich eh schon viel zu lange nicht war. Heißt das, dass ich heute improvisieren muss? Nein, denn ich gehe was essen und empfehle ein Gasthaus, eine weitere Kneipe mit exzellenter Weinauswahl. Sie heißt Essers Gasthaus und logiert in Köln.
Und das Essers ist ein Gasthaus, wie man sich ein Gasthaus wünscht, wie es ein solches beispielsweise ein Berlin nicht oder nicht mehr gibt. Ein Lokal wie das Essers ist nicht nur für die Kulianrik wichtig, ein Lokal wie das Essers ist für die Lebenskultur, die Erweiterung der Lebenskultur und letztlich – und das ist keineswegs übertrieben – für die Demokratie wichtig. Denn mit jedem verlorenen Gasthaus geht auch das Bodenständige verloren, das in wahrlich demokratischen Ländern die einfache Schicht mit der Mittelschicht verbindet. Deswegen sind Gasthäuser so wichtig für Gesellschaft und Demokratie.
Die Patronin des Essers heißt Iris Giessauf und kommt aus der Steiermark (im arroganten Wien gerne und ungerecht als St. Eiermark herabgewürdigt), ein Ösi-Bundesland, das kraftvollen, genussfreudigen und bodenständigen Menschen südslawischer Herkunft eine immerwährende Heimat ist. Ihr Mann Andreas ist aus Köln und steht hier, in Neuerhrenfeld, in der Küche und kocht aus dem Ellenbogen genial, wie man es sich in Berlin flehentlich herbeisehnt.
Iris Giessauf steht also beim Gast ihre Frau, ihr Mann bringt Sachen zum Niederknien auf die Teller. Geht es besser? Ja: Denn die Weinkarte hier ist so reich und ausgedacht gut bestückt, dass man eine Pension in der Nähe suchen sollte, um ein paar Tage Urlaub zu machen. Erst recht im Sommer, wenn man im urigen Gastgarten sitzen kann.
Für die Weine sind Iris und Luise zuständig. Und diese Weine kommen ausschließlich aus Deutschland und Österreich, wo man bei Essers auf eine sehr spezielle Genauigkeit zählen kann. Das heißt, Weine zu bekommen, sehr gesuchte Weine von Monika und Armin Tement etwa oder jene vom Gut Oggau, den burgenländischen Revolutionären in Sachen populistischer Naturweine. Aber es gibt hier auch und einzig noch die Nahe-Rieslinge, die Matthias Adam einst im heute leider durchschnittlichen Weingut Von Racknitz gekeltert hat. Zum Beispiel den Riesling Schieferboden aus 2008. Und diesen Wein gibt es auch glasweise!
Der alleine ist ein Grund hinzupilgern. Und es gibt einen hervorragenden Reserve-Weißburgunder vom Weingut Franz aus Rheinhessen, das ich nie und nimmer auf dem Plan gehabt hätte. Dank Giessauf-Essers ist das Weingut nun in meinem Fokus. Überrascht werden, wenn man glaubt schon alles zu kennen? Was will man mehr?
Geht das besser, das von, das bei Esser? Nun: So speziell präzise, nur auf zwei Länder ausgerichtet, gibt es in Deutschland kaum Besseres. Aber dann gibt es da noch den Reichweitekaiser in Sachen Flaschen aller Damen Länder. Und der hat eine Weinkarte, die in Deutschland ihresgleichen sucht. Ich spreche von Geisels Vinothek in München. Wobei das Lokal, in dem Bodenständiges mit jenem Pep gekocht wird, den man in Deutschland nur dort antrifft, wo der Protestantismus und die Lutherei nie ihre Zerstörungswerk verwirklichen konnten, gar keine Vinothek ist, sondern ein bisschen ein schirches, nie in der Designmoderne beheimatetes Speiserestaurant, in dem jeder Weinenthusiast glücklich wird.
Solche Paläste echter, gelebter Weinkultur, wo die Kellner kein 10-Gänge-Menü zu Tisch bringen, wo es Weintrinken satt gibt – und dabei, ganz ohne Kopfkino satt abgefüttert zu werden, – das gibt es in unserer Republik nur im Süden und Südwesten – so unbeschwert wie möglich und ohne vorher zu lesende Gebrauchsanweisung. Denn wo wird in Deutschland wird immer noch die elendsfade, ehtische Nordic-Cuisine gefeiert? Richtig: Dort wo man nie kochen konnte und erst von Sommelliers wie Billy Wagner oder Gerhart Retter lernte, wie man ein Weinglas richtig hält (am Stiel, nicht am Becher – wie es die Ferres in Filmen immer tut). Wie grandios ist das big-easy, das der Gastronomie aber auch den Weinbau zunehmend abhanden kommt.
Genug schwadroniert! Geisels Vinothek ist so brutal das südliches Westdeutschland vor dem Fall der Mauer, wie man es heute nur mehr in Berlin Charlotteburg findet. Hier, so sagte mir der irrsinnig versierte Sommelier einmal, werden keine zwei Gläser bestellt, sondern gleich ne Flasche – gell, da schaust! Häufig von Einzelgästen, die sich auch Weine leisten wollen, die sie nicht glasweise bekommen und die trotzdem leistbar sind <y. Und solche gibt es viele und auch massiv unterschiedliche hier. Wo wollen wir beginnen? Vielleicht bei den vielen Flaschen des hiesigen Hausfreund-Winzers Horst Sauer aus Franken, bei dessen Kreation ExtremSauGeil aus 2015, die, anders als es der Name vermuten lassen würde, kein Modewein für RedBull-Lafite-Trinker ist. Bei Geisels gibt es auch noch die brillanten Sauvignons (die Jahrgänge 2ß1q2 und 2013 für einen Witzpreis) des Weinguts von Winning, wo Stefan Attman vor zehn Jahren ein paar der revolutionärsten Rieslinge und Sauvignons kelterte, die Deutschland je im Glas hatte. Gunderlochs Riesling Hipping aus 2013, noch zu nennen. Oder der erstaunlich gewaltige einfache Weißburgunder von Emrich-Schönleber von der Nahe. Das alles findet man in den hippen Vinotheken nicht mehr, weil diese Weine meist die Kelterungen des Alte-Weiße-Menschen-Weinestablishments sind, das von jungen, moralisch aufgeladenen Weinenthusiasten gar nicht mehr als groß, brillant und wichtig erkannt wird. Und diese Menschen geben zunehmend den Ton im Weinbusiness an. Womit wir bei einem anderen und wichtigeren Thema sind, wie mir gerade auffällt. Zeit, auch hier was drüber zu schreiben.