Guten Tag, heute geht es um den erstaunlichsten Schluck Rotwein, den ich seit Jahren verkostet habe. Und das völlig unerwartet, noch dazu für unmöglich gehalten. Ich bin nachgerade bis heute baff erstaunt, denn diese Attacke auf mein selbstgewiss verbreitetes Weinwissen kam aus einer Anbaugegend, der ich bislang wenig bis nichts zugetraut habe, außer säuerlichen Roséwein, der nur den dort Eingeborenen und ein paar Verwirrten wirklich zu munden scheint. Doch jetzt muss ich das alles anders denken. Welche Schmach für einen Weinwichtigtuer wie mich. Da hilft nur die Niederlage niederzuschreiben und sie so zu einem Sieg zu verwandeln, zu einer außergewöhnlichen Entdeckung, die man ganz alleine gemacht hat, zu einem Reputationsgewinn, den einem keine nehmen kann.
Meine Geschichte erzählt vom Anbaugebiet Weststeiermark, dem so genannten Schilcherland. Diese Weststeiermark, die unmittelbar an das Anbaugebiet Südsteiermark anschließt, hat die noch schöneren Steillagen und die Buschenschanken mit noch besserer Aussicht – touristisch ein Traumland. Nur leider kam man hier irgendwann mal auf die Idee eine eher seltsame Rotweintraube zur Kaiserin des Autochthonen zu machen. Und zwar zu einer Zeit, in der man den Begriff Autochthon gar nicht kannte. Die Rede ist von der Rebsorte Blauer Wildbacher, die aus gutem Grund keiner kennt, weil sie zu den Rotweinen der Welt nicht Großartiges beisteuern konnte. Falsch! Irrtum! Wie ich seit ein paar Tage weiß.
Der Schilcher ist eine Art Roséwein aus diesem Blauen Wildbacher. Und bislang war Schilcher immer ungemein sauer. Damit trifft er aber den Geschmack einer älteren Generation Weintrinker von Graz und Umgebung sehr genau – so wie ältere Wiener ihre saueren Veltliner mögen, die, so wie der Schilcher, am Weltweinmarkt nur als Obskurität Niederschlag finden. Auch das stimmt nicht mehr: Schilcher bleiben zwar belebend säuerlich, gewinnen aber in den letzten Jahren massiv an Charakter, Gewicht und Delikatesse hinzu – werden also bekömmlicher. Grund dafür ist, einmal mehr, die Klimaerwärmung, die im Weinbau alten Regionen neue Gewissheiten bringt. So auch dem Schilcherland.
Ich war im Weingut Langmann zu Gast und kostete dort einige dieser neuen, kräftigen Schilcher. Etwa den großartigen Lagenschilcher Ried Edla 2021 (€ 22,00), der für mich das anzeigt, was diese Region und der Wildbacher in Zukunft sein können: eine der wohl bedeutenden Roséweinregionen Europas. Und weil es hier nur wenige hundert Hektar Wildbacher gibt, werden diese Rosé, die zudem nun auch ein paar Jahre in den Keller gelegt werden können, immer eine Rarität bleiben. Erstaunlich gut und sich in Sachen Bodensalze (Gneis und Schiefer) von der Südsteiermark (außer vom Anbaugebiet Kitzeck) massiv unterscheidend: der Sauvignon Greisdorfer Himmelreich (€ 28,00) und der Riesling Ried Hochgrail (€ 17,00, beide Weine aus 2020) der Familie Langmann – präzises Keltern hin in Richtung Boden und Bekömmlichkeit. Mit einem ordentlichen Schuss sortentypischer Primärfrüchte.
Dann aber die Bombe. Der Blaue Wildbacher Grande Reserve 2018 (€ 16,00), ausgebaut in Stahl und kleinen, gebrauchten und wohl gering auch neuen Holzfässern. Was soll ich sagen. Der Wein, und das ist wichtig, roch und schmeckte bei ungefähr 16 Grad Trinktemperatur und in großen, bauchigen Gläsern wie der Chambolle Musigny 2018 von Louis Jadot. In der Nase Herzkirsche, gering braune, frische geschnittene Champignons, gering Bleigießen zu Silvester, gering rote Grütze und Bitterschokolade, etwas Leber und etwas Wachs. Im Mund absolute Kraft, Finesse, Eleganz und in der Kehle ein langer Nachhall beim Ausatmen. Gewiss aber spielen hier das Burgunderglas und die Trinktemperatur die beiden großen Nebenrollen, die diese Aufführung eines unerwartet großen Weins erst möglich gemacht haben. Und so war dieser Blaue Wildbacher auf einmal kein autochthoner Wein mehr, sondern ein Weltwein von gewisser Größe. Das wird mich noch Wochen wundern.
Dieser Artikel erschien zuletzt in der deutschen Sonntagszeitung WELT am SONNTAG