Rheinhessen: da will die Wineparty diese Woche ein paar Tage bleiben. Rheinhessen ist jene Weinregion, die vor 40 Jahren, ja vor 30 Jahren noch, in Sachen Qualitätsweine wenig beizutragen hatte. Ich bin alt genug, um mich an die Zeit erinnern zu können, damals als ich das erste Mal deutsche Winzer zu besuchen begann, dass es vor allem Kollegen von der Mosel und aus dem Rheingau waren, die gerne im Gespräch erzählten, dass die ehemaligen Kartoffeläcker Rheinhessens nicht genug für Weinbau taugen. Und dass da, aus dieser Region, keine großen Weine kommen könnten.
Und dann kamen Keller und Wittmann, dann veranschlagte Keller für seine Rieslinge mit dem scheußlichsten Etikett Mordors auf einmal Mondpreise, und sie wurden bezahlt, werden bezahlt, werden zurecht bezahlt.
Was Rheinhessen Weinbau-Deutschland gibt, das ist die Gewissheit, dass große Weine nicht zwingend von großen Lagen, ja nichtmal von mineralisch bedeutsamen Lagen kommen müssen. Was Rheinhessen Weinbau-Deutschland gibt, das ist die Gewissheit, dass es vor allem die Arbeit in den Weingärten und auch die Arbeit im Keller ist, die Weine von nicht prominenten Lagen sehr wohl zu großen Lagenweinen macht. Rheinhessen ist Deutschlands progressivste Weingegend. Von den dann doch prominenten Lagen am Roten Hang bis hin in die die Prominenz gänzlich vermissenden Weingärten in der Gegend um Bingen am Rhein im Norden des Gebiets.
In Rheinhessen keltert auch Lisa Bunn – gemeinsam mit Bastian Strebel. Bunn ist eine Jungwinzerin und gleichzeitig schon länger im Geschäft. Und sie weiß die Vorteile der Region zu nützen – vor allem, so scheint es mir, bei Rotweinen. Ich habe vier Rote von Bunn getrunken, die ich wichtig zu besprechen finde, weil all die Weine, trotz ähnlicher Handschrift, viel Unterschiede aufweisen – mitunter gigantische Unterschiede. Und weil die Wineparty damit endlich ernsthaft anfangen muss, vergeben wir Punkte nach dem Parker-System – mit einer kleinen ironischen Brechung.
Los gehts:
Pinot Noir Gutswein 2021. Unfiltriert abgefüllt im Februar 2023. Dieser Wein war/ist wie ein Geschenk an jene, also auch an mich, die rustikale, im besten Sinne bäuerliche Spätburgunder lieben gelernt haben und vermissen. In der Nase schön Rauch (der im Mund und Schluck zu einer massiven, auch eleganten Rustikalität beiträgt), dann reife Herzkirsche, nicht gering Würze, Majoran sogar, dann leicht geröstete Steinpilze und auch dieses Stall-Leder, das an alte Burgunder klassischer Machart erinnert. Im Mund grandios süffig – ein Meisterwerk einfacher, gelungener und im positivsten Sinne bäuerlichen Weinkultur. 91/100
Spätburgunder 2020 Reserve, 24 Monate im Barrique, unfiltriert abgefüllt im Februar 2023. Ein Wein wie von einem anderen Weingut, wenn man ihn mit dem Gutswein davor vergleicht. Da ist nicht Rustikales, nichts Bäuerliches – aber auch nur gering Elegantes. Da sind Eukalyptus, Menthol, Grafit, leicht laktische Töne, viel massive Frucht, viel Kirsche, die Zwetschke eher in Form eines Brandes – was nicht heißt, dass dieser Wein alkoholisch wirkt (wie alle Roten von Bunn und Strebel mit sehr moderaten 13 – 13,5%). Da sind auch vereinzelt mehr Anklänge an einen australischen Pinot als an einen Pinot aus der nahen Burgund. Sicher ist: viel zu früh geöffnet. Sicher glaube ich auch, den beiden Winzerinnen (Männer mitgemeint) ist da ein extremer Langstreckenläufer passiert, den sie so nicht vorgesehen hatten. 2030+ wird diese Reserve massiv überraschen können; aufgrund Säure und Tanninen wird dieser Wein über 2060 hinaus (bei guter Lagerung) sicher trinkbar überleben. Das Interessante an diesem Wein ist eben, dass er große Erwartungen erzeugt. Ob er diese auch erfüllen kann wird die Zukunft weisen. Deswegen keine Punkte, sondern Freude auf ein Morgen in naher Zukunft.
Spätburgunder Wintersheim 2022, 12 Monate im Barrique, unfiltriert gefüllt im April 2024. Hier ist sie daheim: die Eleganz. Dieser Ortswein wirkt wieder wie von einem anderen, einem diesmal dritten Weingut (drei Weingüter-Anmutungen in einem Betrieb: das muss mal man hinkriegen!) abgefüllt. In der Nase Kirsche satt (keine reifen Kirschen), etwas Rauch, bisschen Zweitschke, etwas Ristretto-Rest in der Tasse, gering Rosmarin, Wiesenkräuter, Hagebutte, wieder Eukalyptus, ganz gering auch Tomatenmark und ein Tick Bratensaft. Im Mund erneut sehr auf Kraft und Länge gebaut, wiewohl nie, wie auch schon bei der Reserve, das Toasting des Barriques in den Vordergrund spielend. 92/100
Grand Reserve 2020, Cabernet-Sauvignon und Merlot, 36 Monate im Barrique, unfiltriert gefüllt im April 2024. Dieser Wein erinnert in der Machart fast zu Gänze an die Reserve – nur aus anderen Trauben gekeltert. Das heißt: mehr Cassis, viel Cassis, Pfeffer satt, roter Paprika, gering Blaubeere und Hagebutte und das so genannte „Grüne“ des Cabernet Sauvignons. Im Mund und Schluck erneut massiv Druck, ja gigantisch Druck, wie ich ihn in Deutschland selten je festmachen konnte. Auch hier ist es schwer, jetzt schon eine Art Kritik abzugeben, da sich der Wein in zwei Richtungen entwickeln kann. Entweder er wird von 2030 an einer der großen, bis dann unerkannt bleibenden Rotweine Deutschlands. Oder es bleiben nur Kraft und Säure, und die Frucht, die bei Bunn-Strebel niemals auch nur einen Deut marmeladig wird, kann den Zug zur Eleganz nicht vollziehen. In beiden Fällen hält der Wein sicher 30 und mehr Jahre im Keller. Was mir fehlte, war jetzt schon eine Vision eines Morgens vermuten zu können. Und das ist etwas schade.
Sicher nicht schade, ja sogar notwendig, scheint es mir, bei Bunn-Strebels Rotweinen dranzubleiben. Denn diese Kraftpakete erinnern mich an die ersten Rieslinge von Klaus-Peter-Keller, die ich vor rund 20 Jahren trank. Auch damals sagte ich: Kann nicht sagen, was das wird. Was es geworden ist, das kann jeder selber trinken.