Montebello Vicentino in 36054, Italien, kannte ich bisher nicht, denn die Züge zwischen Trieste Centrale und Torino Porta Nouva (Frecciarossa) bleiben nicht in Montebello Vicentino stehen. Aber wir können stattdessen in Vicenza aussteigen, jene Stadt zwischen Padova und Verona, die vom Massentourismus verschont bleibt und die ich als absolute Erholung preisen will – Italia: fast nur mit Italienern.
Montebello Vicentino in 36054, Italien: dort keltert das Weingut Cavazza, das ich bislang nur nebenbei wahrgenommen habe; schlicht weil ich Ignorant mich nie einen feuchten Dreck um das Weinbaugebiet Colli Berici gekümmert habe, das einen Tick westlich von Vicenza liegt. Diese meine Ignoranz venetischer Anbaugebiete gilt/galt auch den Colli Euganei im Vulkanland an den Thermen zwischen Abbano und Verona.
Ich kenne im Veneto nur ein Gebiet besser: die Weinbauregion Soave. Die alleine kann aber für die Vielfalt Mittelvenetiens nicht sprechen – eine Vielfalt, die wir nicht kennen. Warum eigentlich, als Frage an die mitlesenden Österreicher: warum eigentlich steigen wir in Venedig und Verona aus unseren Zügen? Und nicht in Vicenza, um die Collo Berici zu erkunden, die, so wie die Gegend um Bassano, eine schöne, sanfthügelige Gegend vor dem Alpenkamm ist? Antwort: Weil wir es nicht besser wissen. Das sollten wir ändern.
Ich habe von Cavazza drei Rote und einen Süßwein auf dem hölzernen Berliner Verkostungstisch stehen. Und die geh’ ich jetzt alle mal durch.
+) Tai Rosso 2024. Tai Rosso? Das ist die lokale Bezeichnung für den Tocai Rosso, der nicht mehr so heißen darf, weil Ungarn die Rechte am Tokaj-Begriff vor zwei Jahrzehnten sicherstellte. Das bedeutete sowohl das Aus für den Tocai Friulano (Welschriesling) wie auch für den Tocai Rosso. Und doch ist uns die Sorte wohlbekannt: Tai Rosso ist Grenache. Der DOC von Cavazza hat erfreuliche 12,5% Alkohol und sollte leicht gekühlt getrunken werden (ich empfehle 11 Grad). In der Nase erstaunlich viel Cassis, dann satte Himbeere wie bei einem Himbeersorbet, gering Herzkirsche, etwas gelber Paprika, dann nasser Kies und gering auch feuchte Minzblätter. Im Mund extrem süffig, wunderbar fröhlich machend fruchtig und ein Bringer bei jeder Party. Was keineswegs heißt, dass es sich hier um einen anspruchslosen Wein handelt. Ein Stahltank-Roter wie aus dem Bilderbuch des Trinkvergnügens: 90 von 100 Punkten.
+) Ebenso leicht kühl großartig zu trinken ist der Fornetto 2023, eine Cuvée aus Merlot und Syrah, die mir den Tick zu „international“ gekeltert ist – also ein Wein aus nicht autochthonen Sorten, der kurz auch im Barrique lag. Einspruch: Bei diesem Wein habe ich das erste Mal Geruch und Geschmack auch des regionalen Terroir ausgemacht – und gefunden. Wie so oft bei guten, „handgekelterten“ italienischen Weinen ist das der leichte Duft nach brauner oder roter Erde: ein Duft, den derart nur Italien hinkriegt. In der Nase wieder Cassis – aber geringer – dann Blaubeere, ein wenig Thymian, gering Gelbwurz, mehr dann Hagebutte, Kirsche und ein Hauch Rauch. Angenehm: die Barriquefässer machen sich extra unwichtig bei diesem Wein. Internationale Machart, extrem regionaler Ausdruck und saugünstig (16 Euro): 91 von 100 Punkten.
+) Anders der Corallo 2021, die Fortsetzung des Tai Rosso mit anderen Mitteln – der Grenache, der auch Monate im Barrique lag. Und frankly: der Corallo ist eine sehr gut gelungene, ins lokal Authentische gezwungene Interpretation eines Grenache, die so gut wie null an einen französischen Grenache erinnert. Und genau null auch an einen Grenache aus der Neuen Welt. Dieser Corallo ist kein Rebsortenwein, sondern eine Mauritius der Region. In der Nase viel Himbeere, viel Brombeere, nur gering Cassis, aber auch feuchter Pilzboden, etwas Eukalyptus, etwas Hagebutte, wieder Gelbwurz und ein Tick Bratensaft. Im Mund ein unkomplizierter wiewohl komplexer Bringer: 93 von 100 Punkten.
+) Zum Schluss der Capitel 2020, ein Süßwein aus bis in den Jänner angetrockneten Garganega-Trauben (Picai-Methode). In der Nase Orangenzesten, Mandarine, gering Nashi-Birne, mehr Williams, dann gering aber entscheidend Steinobst. Ich bin mit italienischen Süßweinen nie im Gesamten glücklich – so auch mit diesem nicht, dem das Entscheidende fehlt, das im Tokaj, im Seewinkel, an der Saar oder im Sauternes, ja selbst in der österreichischen Wachau da ist: das stupend Regionale. Mit ist dieser Wein etwas zu geschliffen, zu wenig dreckig. Da ginge mehr: 88 von 100 Punkten.
Eins ist jedenfalls klar: Cavazza beweist mir, dass ich, dass wir mehr noch die kleinen feinen und auch sehr alten Weingegenden Oberitaliens kennen lernen müssen – so wie wir seit Jahren die Weine des Carso kennen, der Gegend um Triest.