Franken, ein sehr sehr altes fürstliches Weingut, ein vergessenen Fass aus Granit und ein Weingarten als Erinnerung an den Besuch der alten Dame.
Gemischter Satz: Den kennen wir vor allem aus Wien und dem umgebenden Niederösterreich, wo er seit Jahrhunderten Tradition hat. Der Gemischte Satz ist die gemeinsame Auspflanzung vieler Rebsorten, auch gemischter Traubenfarben, erstmals erwähnt Ende des 17ten Jahrhunderts und deswegen erfunden, deswegen vorsätzlich kreiert, damit das Volk jedes Jahr Wein hat – denn ein Volk ohne Wein rebelliert gegen seine Machthaber.
Die Idee des Gemischten Satz ist so einfach wie bestechend. Egal wie das Weinjahr ausfällt, ob gut oder schlecht: ein paar der vielen im Weingarten ausgepflanzten Sorten wird sicher Trauben liefern, die irgendwie am Reifepunkt sind; und diese Trauben, die irgendwie am Reifepunkt sind, gleichen jene Trauben aus, die überreif oder sehr grün von den Stöcken geholt und gemeinsam gepresst werden.
Der Gemischte Satz war das Gegenteil des Besonderen, war lediglich Garant für Weine, die durchschnittlich gut schmeckten und ihren Zweck erfüllten; Weine, die Handwerker, Feldarbeiter und Soldaten mit etwas Saufbarem davon abhalten sollten, Kaiser, Könige, Adel und die Pfeffersäcke der Kirche von ihrem Hohepriester-Thron herunterzustoßen. Doch die Geschichte ließ sich nicht beschwichtigen: trotz breitem Komasaufen fegte die Französische Revolution und das Jahrhundert danach all die genannten Stände hinweg.
Ende der 1980er-Jahre aber machte sich eine neue Winzergeneration daran, die paar verbliebenen, älteren Gemischten-Satz-Weinhänge in Wien, Niederösterreich, im Rheingau und in Franken (in Deutschland überall dort, wo Preußen bis 1871 nichts zu melden hatte) zu retten und ein paar neue Hänge mit gemischten Rebstöcken auszupflanzen. Federführend dafür war in Wien der Winzer Fritz Wieninger, der den Gemischten Satz in eine neue Moderne führte, die auch festschreibt, dass man die einzelnen Sorten im Weinberg weder gleichgültig noch durchschnittlich, sondern maximal aufmerksam behandelt und dass alle Trauben für den Satz einen ähnlichen Reifegrad haben müssen. Ein völlig anderer Zugang also.
Das vergessene Fass.
Die Domaine Castell in Franken, von der wir hier in Bälde mehr lesen und sehen werden, ist das, was wir als „Der Guten Fürsten Werk“ einstufen dürfen: siebzig Hektar Rebgärten, noch ein paar Hektar von einer so genannten Erwerbsgemeinschaft (die progressivere Form der Genossenschaft) einiger Winzer dazu und zu guter letzt eine uralte Privatbank, die zu Beginn, vor vielen Jahrhunderten, mit Mikrokrediten an Bauern dazu beitrug, dass die Region auch heute noch eine Blüte zeigt, dass sie in Sachen Wein zu den großen Weinregionen Deutschlands zählt.
Im großen Keller der Domaine Castell steht ein Riesentrumm aus Granit, rund, auf viereckige Blöcke gesetzt, rund drei Tonnen schwer, das ein ehemaliger Kellermeister vor bald zwanzig Jahren in einer Art Spleen-Anfall um viel Geld kaufte. Der Mann ging ab; das Riesentrumm, ein Gär- und Reifefass aus Granit, verstaubte im Keller. Bis 2017 das Legat einer alten Dame diesem Fass neues Leben einhauchte.
Der Besuch in den Gärten der alten Dame.
Die alte Dame, deren Name heute nur noch in den Archiven des Castell verzeichnet steht, hatte sich in den Zeiten der Weingesetz- und Weingartenreformen, also in den frühen 1970ern, vehement und standhaft geweigert, ihren alten Garten Gemischter Satz an die neuen Zeiten anzupassen. Keine Rodung, keine so genannte Flurbereinigung, kein Fußbreit einer Ideologie, die vor allem Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund stellte. Was damals töricht schien, ist heute ein Segen – ist Botschafter einer vergangenen Zeit.
Castell-Geschäftsführer Peter Geil hat dem verstaubten Granitfass eine einzige Bestimmung gegeben: dem Gemischten Satz Platz zum Gären und Reifen zu geben. Und heraus kommt einer der spannendsten Weine aus Franken („Granit“, € 30,00, 0,75l). In der Nase schlagen Traminer und Gelber Muskateller mit Rosenwasser- und Würznoten mal die erste Seite auf, die nie ganz umgeblättert wird. Dann scheinen Elbling und Sylvaner durch – mit Saft und Struktur. Doch über allem macht die ziemlich dramatische und trotz ihrer Dramatik im Mund aber extrem gefälligen, salzigen Mineralität den Umschlag dieses önologischen und trinkbaren Geschichtsbuchs auf – eine Mineralität die nicht vom ohnehin mineralischen Gipskeuperboden kommt, sondern vom Granitfass. Dieser Gemischte Satz „Granit“ der Domaine Castell im Ort Castell (Castell, Castell) ist also einer der seltenen Weine, die noch mehr singuläres Terroir durch jenen Stein erfuhren, im dem sie gären und reifen durften. Fazit: Ein Erlebnis!