Die Wineparty hat Donnerstag sehr früh über die Vorwürfe gegen Sternekoch Konstantin Filippou berichtet. Der Artikel erregte mehr Aufsehen als gedacht. Und auch andere Reaktionen als erwartet: sowohl befreundete Personen aus der österr. Gastronomie, Weinhandel und auch Winzer forderten die Redaktion auf, den Artikel offline zu stellen. Als gegen 14h dann aber auch alle Wiener Leitmedien berichteten, hatten die Begehrlichkeiten gegen uns ein Ende. Was blieb ist aber der Vorwurf, mit eine Mücke zum Elefanten gemacht zu haben – ein Vorwurf, den wir zurückweisen.
Wir wollen aber den anonymen Bericht eines ehemaligen Gastronomen veröffentlichen, der aus seinen Erfahrungen in der Gastronomie erzählt. Wie seht ihr das?
“Ich war nicht immer nur Gast. Irgendwann, in den frühen 2010er-Jahren, hatte ich die im nachhinein wenig glorreiche Idee einem Freund zu helfen und mit ihm gemeinsam einen Gastrobetrieb zu starten. Das Projekt war in einem vornehmen Wiener Außenbezirk stationiert und startete gleich mal mit einer aufwändigen Sanierung der Location. Nach einem recht guten Start lief das Business bald in den gastronomischen Alltag über. Diesen zu verstehen, eröffnet vielleicht auch einen Blick in die Branche und trägt dazu bei, die aktuellen Ereignisse besser einordnen zu können.
Der Alltag der meisten Gastronomieunternehmen, auch des damaligen unseren, ist von zwei Faktoren geprägt: Prekariat und Unvorhersehbarem.
Die Kundenpreise in der Gastronomie sind immer Target-Preise, das heißt, sie orientieren sich nicht an den tatsächlichen Kosten ihrer Herstellung, sondern überwiegend an den aktuellen Preisen der Mitbewerber – es herrscht in dieser Branche also eigentlich ein viel schärferer Wettbewerb als von Außenstehenden vielleicht vermutet wird. Obwohl viele Konsumenten Gastropreise oft als ‘hoch’ empfinden, sind diese – vor allem durch den Faktor Arbeit, der den Gutteil der Kosten ausmacht – oft kaum kostendeckend. Ich vermute, dass diese Situation sich quer durch die Branche zieht.
Will der Gastrounternehmer in diesem oft dauerhaft prekären Zustand irgendwie überleben, so beginnt er oft zu tricksen, meldet Personal – anfangs noch mit gegenseitigem Einverständnis – oft nur mit weniger Stunden an, will sich mit Schwarzgeld behelfen, vielleicht Förderungen abgreifen, die ihm nicht zustehen und sich selbst an „Sparmaßnahmen“ emotional aufrichten, auch wenn diese wirtschaftlich vollkommen absurd sind: Ich erinnere mich, als ich eines Nachmittags in den Betrieb kam und die Angestellten dort bei der Arbeitsvorbereitung Sodawasser aus der Zapfanlage in Flaschen eines teuren Mineralwasser-Anbieters umfüllten, um dann vielleicht einen klein bisschen besseren Deckungsbeitrag erzielen zu können.
Darüber hinaus gab es jeden Nachmittag, an dem ich in den Betrieb kam, neu Unvorhergesehenes. Mal war der Gläserspüler defekt, mal kam der Fleischlieferant nicht, weil die Rechnung von voriger Woche unbezahlt war oder er keine Ware hatte, mal musste man die indische Hilfsköchin mit dem Taxi zu Metro schicken, die dann mit den falschen Produkten zurückkam, mal schrieb der Hauptkoch um 14 Uhr, dass er nicht wisse, ob er kommen könne – er hätte so Stress mit der Freundin, die Terror wegen der Nachtarbeit macht. Dann noch defekte Lampen, Krankenkassenprüfungen, Arbeitsamt, nicht normgerechte Thermometer in den Gefrierschränken und Krankenstände wie Urlaube.
Die Konsequenz eines solchen doppelten Drucks ist die Degeneration von Systemen. Speisekarten und Rezepte sind eben ein System innerhalb der Produktions- und Dienstleistungsmaschine Gastronomiebetrieb. Sind diese Systeme dauerhaft gestresst, degradieren sie jeweils darunter liegende Ebene und verbleiben dort. Ist der Fleischlieferant jedes zweite Mal zu spät, der Hilfskoch öfter krank und das Mise en place nur halb vorbereitet, kommt bald der Glutamatwürfel zum Einsatz. Fehlt mal an dem einen oder anderen Tag das Geld für das Bio-Gemüse, wird halt auf herkömmliche Ware zurückgegriffen. Fast immer bleibt der degradierte Zustand erhalten, da meist die zeitlichen oder wirtschaftlichen Mittel für die Wiederbelebung nicht mehr zur Verfügung stehen. Im Downspin geht es dann meistens am Ende nur mehr darum, irgendwie den Tag zu bewältigen.
Die Speisekarte ist dann mitunter ein hübsches Relikt, die Absichtserklärung einer besseren Variante des bestehenden Betriebs.
Meine Unternehmensbeteiligung in der Gastronomie endete übrigens in einem wirtschaftlichen Desaster.
Der Betrieb aber hat bis heute überlebt.”