Ich will in der ersten Kolumne dieses Jahres mit Blaufränkisch fortsetzen, jener donauländischen Rebsorte, die in Deutschland unter dem Namen Lemberger bekannt ist. Und zwar mit den meiner Meinung nach authentischsten Blaufränkischen, die mir zuletzt ins Glas gekommen sind: mit den Blaufränkischen der niederösterreichischen Winzerin Dorli (Dorothea) Muhr. Zuletzt habe ich ein Rotweinwerk mit ähnlicher fantastisch brillanter Gesamthandschrift und ähnlich burgundischen Zugang bei Sebastian Fürst in Franken getrunken.
Muhr keltert in Prellenkirchen, in der zu unrecht wenig bekannten Weinregion Carnuntum, die nördlich an das Burgenland anschließt und vom pannonischen Klima profitiert – soll heißen, es kann heiß werden. Und Muhr war Quereinsteigerin als sie ihr Weingut 2002 gründete, eine der vielen im Weinbau erfolgreichen Personen, die den Beruf Winzer nicht gelernt haben. Ihren bürgerlichen Beruf, die Leitung einer PR-Agentur, hat Muhr nicht aufgegeben.
Die Sorte Blaufränkisch, die natürlich eine ganz eigene Identität hat, kann an ganz große Pinots verlässlich andocken – das haben schon andere Winzer vor Muhr beweisen. Und sie ist zudem, mit Cabernet Franc, die würzigste Rotweinsorte, die ich kenne. Eine positive rustikale Eleganz, die Frucht oft mehr an einem hellen Cassis als an der Kirsche orientiert und dann auch absolut mit Holz harmonierend: alles da, was die verkannte Sorte mehr populär machen könnte – populärer als Merlot, Cabernet-Sauvignon oder Syrah. Nur gibt zu wenige Rebflächen und zu wenige Flaschen, um Blaufränkisch jetzt zu einer weltweit bekannten Traube und zu einem Exportschlager zu machen. Und das ist gut so. Außerdem schreit der Markt ohnehin gerade nicht nach Rotweinen.
Ein Grund für die Flaute bei Rotweinen ist auch der, dass sie einem weiblicher gewordenen Markt nicht genügend entsprechen. Anders gesagt: Frauen trinken nicht gerne dicke, fette, nach Marmelade duftende und auch genauso schmeckende Rotweine, die sich Männer gerne zu einem Steak oder als Kaminwein ins Glas gießen.
Die Weine von Dorli Muhr. Sind das jetzt feminine Rotweine? Stimmt die Schublade, in der man die Spitzenwinzerin vom Spitzerberg gerne ablegt, nur weil man mit feminin eine Einordnung findet, die der Erklärung von Muhrs Weinen vermeintlich so einen Tick modischen Feminismus anhängt? Gibt es feminines Keltern? Die Weine von Dorli Muhr sind ganz eines sicher nicht: feminine Weine. Es sind anstatt ausschließlich große Weine. Und zwar beginnend beim einfachsten Blaufränkisch: dem Gebietswein Carnuntum (€ 18,00). Hier, am Beginn der Reise durch ihre Blaufränkischen, beweist Muhr den Zugang, den alle Spitzenwinzer haben sollten: keine Weine des Weinguts, auch nicht die günstigsten, dürfen eine Handschrift vermissen lassen. Und Muhrs Handschrift passt eben zu keiner Zuordnung. Auch nicht zu jener, der femininen Weine.
In der Nase zuerst feuchter Klee, dann gering Hagebutte, gering Ginster, gering Eukalyptus, dann Kirsche, gering reifer Paprika und Cassis. Schon beim Carnuntum (Jahrgang 2022) merkt man: Muhr hat alle Möglichkeiten der Sorte analysiert, hat eigene Schlüsse gezogen, die andere nicht ziehen, und die Möglichkeit möglichster Exzellenz und möglichster Eleganz erkannt und gekeltert. Als Teilzeitwinzer weiß ich, dass es von sehr guter Handschrift zu exzellenter Handschrift ein Riesensprung ist, den die meisten Winzer nicht schaffen. Denn man muss im Hirn den Schalter umlegen, echt auf Risiko zu gehen.
Samt und Seide (Jahrgang 2022) heißt der zweite Wein im Glas (€ 23,00), ein meiner Meinung nach zu biederer Name für einen der besten Ortsweine überhaupt. Wie es sein soll, macht Muhr mit dieser Kreation auf ihre großen Blaufränkischen neugierig. Etwa den Ried Spitzerberg Kobeln Erste Lage Liebkind (2021, € 67,00): ein sehr gelassen auf das untere Ende der Lagenweine gekelterter Roter, der verblüffend gleich Lust auslöst, die Flasche sofort austrinken zu wollen. Der Liebkind hat die Süffigkeit im Getriebe, die den nun folgenden beiden Weinen in dieser Drastik momentan fehlt, schlicht weil sie zu früh gekostet wurden. Spitzerberg Erste Lage Obere Roterd (2021, € 85,00) ist ein Unikat an strammer Kraft und einer ohne Ende rausgejubelter Eleganz. Hier trinkt man einen Wein einer Winzerin, die sehr wohl weiß, dass sie ihre Weine völlig zurecht an großen Burgundern orientiert. Und dann der Spitzerberg Obere Spitzer Erste Lage (2021 € 120,00): ein Wein, der für mich tatsächlich aus der Sorte fällt, aus dem Bild des Blaufränkischen. Dieser Blaufränkisch, der für mich zu den besten Rotweinen der Welt zählt, ist eines der wenigen Exemplare Wein, der die Geschichte dieser südosteuropäischen Sorte, auch jene ihrer nördlichen Grenze, zur Gänze erzählt. Und zwar als Spielfilm in Ultra-Cinemascope.