(Illustration: Faksimile WZ)
Die Wiener Zeitung ist ein seltsames Blatt – eigentlich ja gar kein Blatt mehr, seit die Republik Österreich, der dieses Medium gehört, die Erscheinung der Wiener Zeitung als älteste Tageszeitung der Welt vor drei Jahren einstellte. Die Zukunft nach dem Einstellen der Printausgabe sollte ein hoch dotiertes, junges Onlinemedium sein, das bislang außer einer exzellenten Recherche über die Immobiliengebaren eines niederösterreichischen Bürgermeisters wenig zum sichtbaren österreichischen Journalismus beitrug. Lange sah es gar so aus, als wäre diese Wiener Zeitung, die jetzt salopp WZ heißt, eine steuergeldfinanzierte lame duck.
Doch jetzt enthüllt die WZ eine sichtbar penibel recherchierte Geschichte über den Wiener Zweisterne – und Fünfhaubenkoch Konstantin Filippou, dem der Autor dieser Zeilen vor sechs Jahren eine Zeitschriften-Hymne schrieb: so begeisterte die Küche Filippous.
Offenbar aber haben Preisdruck und Stress zu einer Verwendung minderwertiger Produkte geführt. Und zudem zu einem unhaltbaren Umgang mit Mitarbeitern, der sehr stark an den Wiener Theatermacher Paulus Manker erinnert, der wegen ähnlicher Vorwürfe letztes Jahr hart attackiert wurde. Mankers Karriere ist beendet, die von Konstantin Filippou, das muss er erkennen, wohl auch.
Filippou ist so ganz „Kerl“, ein Mann wie aus dem Bilderbuch attraktiver, südländischer Männer. Und Filippou ist auch der Liebling der Naturweinszene (Schwesterlokal im Betrieb: O Boufes) und Herzeigekoch der linksliberalen Szene in Wien. Deswegen ist anzunehmen, dass die Vorwürfe gerade ihn und seien Betrieb besonders treffen werden.
Was recherchierte die WZ? Wir zitieren:
Filippous Küche ist berühmt und teuer. 360 Euro verlangt er für neun Gänge. Filippou gilt als einer, der nur das Beste vom Besten in den Kochtopf steckt. Und als einer, der das auch selbstbewusst zur Schau trägt. In Interviews schwärmt er von der Qualität seiner Zutaten. Die norwegische Jakobsmuschel reichte Filippou zuletzt mit Mandeln, Artischocken und Trüffeln. Sie gilt als die beste Muschel der Welt, wird von Taucher:innen händisch geerntet, ist selten und exquisit. Die Spitze des guten Geschmacks.
Das Problem: Es war keine norwegische Jakobsmuschel, die bei Filippou auf dem Teller lag. Das sagen ehemalige Mitarbeitende. Anders als die Karte versprach, soll es günstigere Ware aus Japan gewesen sein. Nachdem wir Filippou im Februar mit den Vorwürfen konfrontierten, strich er die Muschel und andere Zutaten von seiner Menü-Karte. Denn die Muschel soll nicht die einzige Waren-Schummelei des Konstantin Filippou gewesen sein.
Die WZ hat mit acht seiner ehemaligen Mitarbeitenden unabhängig voneinander gesprochen. Sie standen teilweise jahrelang und bis vor wenigen Monaten in seiner Küche – und auf unterschiedlichen Ebenen in der Hierarchie des Restaurants. Ihre Aussagen decken sich. Fotos, Videos, Rechnungen, Dokumente, interne Chats belegen ihre Geschichten. Sie erzählen von schlechten Arbeitsbedingungen, Beschimpfungen (“Fuck You”, Arschloch, etc.) und Täuschung. Sie lassen hinter die Fassade eines international gelobten Nobelrestaurants blicken. Und in einen Keller unter Filippous Restaurant.
Während die Gäste Champagner schlürfend in die polierte Schauküche blicken, packen Filippous Mitarbeitende eine Etage tiefer Muscheln aus. Der WZ liegen Fotos vor. „Gefrorene, geschälte Jakobsmuscheln“ steht auf einem weißen Plastik-Kübel. Daneben „FAO-61“. Das Kürzel zeigt an, wo die Ware herkommt. „FAO-61“ steht für Fischfanggebiet Nordwestpazifik. Die Muschel, die Filippou auf der Karte als „Norwegische Jakobsmuschel“ verkauft hat, stammt aus Japan, China oder Russland.
Auf mehreren Rechnungen, die der WZ vorliegen, taucht der Posten ebenfalls auf. „Jakobsmuschelfleisch (FAO 61)“ steht auf einer Rechnung des Gastro-Großhändlers „Transgourmet“. Jakobsmuscheln aus Norwegen suchen wir vergebens. Filippou will uns keine Rechnungen vorlegen. Er räumt aber ein, manchmal andere, „qualitativ genauso hochwertige“ Produkte zu verwenden, sollte die gewünschte Ware nicht lieferbar sein. In solchen Fällen würde das Personal die Gäste informieren. Dem widersprechen mehrere ehemalige Mitarbeitende. „Uns wurde gesagt, wir müssen norwegische Jakobsmuscheln sagen, aber es war immer minderwertigere Ware aus dem Osten“, sagt eine Ex-Köchin.
Das ist keine harmlose Flunkerei. Der Unterschied zwischen den beiden Zutaten ist gravierend. Anders als Jakobsmuscheln aus Norwegen werden Filippous Muscheln mit Dredschen, also großen Schleppnetzen, die von Schiffen über den Meeresboden gezogen werden, abgeerntet und tiefgefroren verschifft. Das ist nicht nur schlecht für die Umwelt. Die Muscheln sind auch wesentlich günstiger als ihre norwegischen Artgenossen. Eine frische Jakobsmuschel aus Norwegen kostet etwa zwölf Euro. Das Fleisch einer tiefgefrorene Muschel aus Japan zwischen zwei und drei Euro.
Und weiter:
Wir wollten es genau wissen und waren im Konstantin Filippou essen. Da Nobelrestaurants die Namen ihrer Gäste überprüfen, bevor sie sie bewirten, haben wir verdeckte Testesser:innen mit einem Fragenkatalog ins Konstantin Filippou geschickt.
Im Speisesaal säuseln mediterrane Melodien. Ein moderner schwarzer Luster hängt über dem Tisch. Als erster Gang – oder Prolog, wie es bei Filippou heißt – steht Belon-Auster auf der Karte. Sie ist für Gourmets, was für Bergsteiger der Mount Everest ist: der Gipfel. Belon-Austern sind sehr selten. Nur wenn sie im Fluss Bélon in der französischen Bretagne veredelt werden, dürfen sie den Namen tragen. Die perfekte Mischung aus Süß- und Salzwasser verleiht ihnen ein einzigartig nussiges Aroma. Im Konstantin Filippou kommen sie mit Bierrettich, Äpfeln und Schalotten-Vinaigrette auf einem gläsernen Teller, durchsetzt von einer organischen Struktur aus Luftblasen. Er erinnert selbst an eine Meeresfrucht. Der Kellner bestätigt auf Nachfrage, was auch in der Karte steht: „Das sind Belon-Austern.“
„Sie sagen, es sind Belon-Austern, aber sie kaufen niemals Belon, sie kaufen Gillardeau-Austern“, sagt ein ehemaliger Koch. Tatsächlich stehen Gillardeau-Austern aus Aquakulturen auf mehreren Rechnungen, datiert mit den Tagen vor dem Besuch unserer Testesser:innen. Belon suchen wir vergebens. Wieder will uns Filippou keine Rechnungen zeigen. Anders als Belon-Austern sind Gillardeau-Austern nicht so selten. „Gillardeau ist einfacher zu bekommen“, sagt ein Fischhändler. Preislich schenken sich die Tiere nicht viel. Doch Filippou schreibt lieber die exklusive Ware auf die Karte.
Frische Krebse aus dem Tiefkühlfach
Exklusiv sollen auch Filippous Langostinos sein, oder „Kaisergranaten“, wie die hummerähnlichen Krebse auf Deutsch heißen. Blassorange heben sie sich dezent vom schwarzen Teller ab, als würden sie leicht über dem Porzellan schweben. Bei Filippou sind sie ein „Signature Dish“. So werden Gerichte bezeichnet, für die Lokale besonders bekannt sind. Sie stehen fast immer auf ihrer Karte. In einem Interview mit dem Standard erzählte Filippou im November 2023, wo er die Tiere kauft. Zweimal in der Woche würden sie frisch und lebendig aus Kroatien in sein Lokal kommen.
Frisch und lebendig waren sie nicht, sagen mehrere ehemalige Köch:innen. „Die Qualität der Langostinos war für den Arsch“, sagt einer. „Sie hatten alle Gefrierbrand.“ Andere Mitarbeitende bestätigen den Verdacht. „Die Langostinos waren nicht aus Kroatien, wie Filippou immer erzählte. Sie waren herkömmliche Massenware, tiefgekühlter Durchschnitt“, sagt eine Köchin.
Auf Rechnungen finden wir Langostinos aus Dänemark und den Niederlanden, mit dem Kürzel TK, tiefgekühlt also. Auf Nachfrage bestätigt Filippou, derzeit schockgefrorene Langostinos zu verwenden. Vor einem Jahr hätte er tatsächlich frische Langostinos aus Kroatien gehabt.
Ein ehemaliger Koch listet uns weitere angebliche Fake-Zutaten auf. Vieles, was noch Mitte Februar auf der Karte stand, sei nicht auf dem Teller gewesen. Der wildgefangene Zander sei aus niederländischen Aquakulturen gekommen. Die fünf Jahre lang gereifte Soja-Sauce aus dem 20-Liter Kikkoman-Kanister. Zu all diesen Zutaten liegen der WZ entsprechende Rechnungen vor. Den Gegenbeweis, also die Rechnungen für die Zutaten, die laut Karte und Service-Personal verkocht wurden, will uns Filippou nicht vorlegen. Nach unserer Anfrage verschwinden die noblen Zutaten vom Menü auf seiner Website.
Was bleibt Filippou nach so einem Konvolut von Anschuldigungen zu tun über? Das Einzige, was er machen kann: zugeben, entschuldigen, die Küche sofort seinem Sous übertragen, aussteigen und das Lokal behalten. Aber kein Küchenchef mehr sein. Und: Michelin und Millaut für 2025 aussetzen. Best Offer: nach drei Jahren im O Boufes geläutert zurückkehren. Und erst später im Restaurant, das seinen Namen trägt.
Wenn es das dann noch gibt.
Ich glaube (vermute) das Filippou nicht der Einzige ist, was es selbstredend noch besser macht. Ich war vor mehr als 9 Jahre dort…da war es noch ein Stern. Und es gab dort schon die Natur-Orangeweinbar. War einer der schönsten Momente.
Ich finde die Anschuldigungen brutal….aber wenn Philippou nicht den Gegenbeweis antreten kann, dann muss es ja stimmen.