Sonnenuntergang im Russenkiez von Larnaka. Plattenbauten auch hier, gewohntes Gelände also. Auf den Terrassen der Russen rauchen einfache Lidl-Sonderangebot-BBQs, vollkommen verbranntes Fleisch, das die Luft mit Schwaden füllt. Ums Eck der postsowjetische “Bereshka”-Supermarkt, der die heimatverlorene Slawen mit Kwas, Pilmeni und Majonnaisesalaten versorgt – bis spät nachts. Vom Strand dröhnt ein Folklorefestival gnadenlos, in unendlichen Wiederholungen ein- und derselben Melodien. Eine seltsame Welt.
Aus unserem Weinschrank holen wir, Leonie und Geraldine (Klarnamen der Redaktion bekannt), heute erstmals zwei Flaschen ‘aus Feindesland’, aus Russland. Mit Übersetzungsapp – alles hier Lesbare verstehen wir spontan ja nicht – legen wir im Halbdunkel der Terrasse mal los.
Die erste Flasche ist eine 2021er Cuveé aus Kuban, einer Kleinstadt in Südrussland mit umgebenden Weinbaugebiet, wenige Kilometer von der Krimbrücke entfernt. Vermutlich gelangte der Wein überhaupt nur zu uns, weil Olaf Scholz die “Taurus” nicht geliefert hat. Egal. Aufmachen.
Leonie fährt sofort mit “Das ist ja irgendwie schon ein Chardonnay” und “auf der Maische. Maische, Maische” vorschnell beurteilend rein, ich fummle mit Google Translate an der Etikette.
Google Translate mag keine Weinetiketten, weil sie gerundet sind und das Teil übersetzt einfach immer nur zwei Drittel des Textes, jene in der Mitte des Etiketts. Wir finden heraus, dass Grauburgunder und Riesling in der Cuvée drin sind; bei der Haltbarkeit übersetzt Google Translate “unbegrenzt”, was wir grundsätzlich für toll halten. Im Fass war er auch, laut Website. Glauben wir aber nicht.
Der Wein scheint ein “working horse” der Winery Chateau Pinot (https://chateau-pinot.ru) zu sein, cuvéetiert, um einen gewissen, von uns jetzt vermuteten Mehrheitsgeschmack am russischen Markt zu treffen. Auf der Website wird auch Agrotourismus nach italienischer Art angeboten und es ist sogar von “Pet Nat” und gealterten Weinen die Rede. Ob wir die je zu sehen bekommen werden? Bestellen kann man ja aus Russland wenig bis nichts, kaum ein europäischer Frächter fährt von oder nach Russland, und aufgrund der Sanktionen sind auch Banküberweisungen oder Kreditkartenzahlungen dorthin nicht möglich.
Der “Kommersant”, eine russische Wirtschaftszeitung, deren Schwerpunkt nicht immer der Krieg ist, beschreibt die Herausforderungen der russischen Weinwirtschaft und auch des Handels mit russischen Weinen. Alle Importe sind, obwohl westlicher Wein nicht sanktioniert ist, im Wesentlichen zum Erliegen gekommen. Georgien, Armenien und Südamerika kompensieren die fehlenden Flaschen wohl nur teilweise. Der russische Staat greift hier bereits ein, unterschiedliche Förderprojekte für Winzer und Kellereien wurden entwickelt, der Absatz lokaler Weine steigt beachtlich. “Nach Angaben des Föderalen Dienstes für die Kontrolle der Alkohol- und Tabakmärkte (Rosalkogoltabakcontrol nennt sich diese Behörde – sie dürfen schmunzeln, trotz des Krieges) stieg die Schaumweinproduktion in Russland in den ersten sechs Monaten des Jahres 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 28,9 % und belief sich auf 6,1 Millionen Dekaliter (1 Dekaliter = 10 Liter). Die Produktion von Stillweinen stieg im gleichen Zeitraum im Jahresvergleich um 12,6 % auf 15,7 Millionen Dekaliter”, schrieb kürzlich der “Kommersant”.
Der zweite Wein bei uns am Tisch ist ein Narkosetool mit 14 Prozent Alkohol, eine Cuveé aus Syrah, Malbecq, Mourvedre und Pinot Noir, nennt sich “Terroir” und kommt vom in Russland sehr bekannten Weingut Gai-Kozdor, weniger als fünf Kilometer von den Küsten des schwarzen Meeres entfernt. Leonie erkannte den Mourvedre sofort und jammerte, dass ich den Rotwein natürlich wieder mal zu kalt serviert habe. Für die Frucht sorgt massiv die Rebsorte Grenache. Sie übertüncht die resolute Würze gnadenlos. Wir einigten uns darauf, dass es ein wuchtiger Wein sei, aber einfach ein bisschen zu viel “of all”. Etwas weniger kalt war es eine durchaus trinkbare Cuveé.
Leonie ist aber genervt, spielt schon mit dem Glas herum und will jetzt und sofort einen Sangiovese.
Die Website von Gai Kozdor zeigt ein sehr modernes Gebäude aus Glas und Stahl – ein Weingut, wie es auch in Österreich oder Deutschland stehen könnte; ein Familienunternehmen, mit ständigen Beratern aus Frankreich, die im Weingut “unsere Franzosen” gerufen werden. Ob es diese “unsere Franzosen” dort noch gibt? Wir denken nein.
Fazit: Unsere geheime Quelle wird uns vielleicht noch weiteren Stoff aus Russland nach Zypern schmuggeln. Bislang hatten wir vor allem wohl eher den Durchschnittsgeschmack der weintrinkenden russischen Mehrheitsbevölkerung kennengelernt. Lokale russische Weingüter arbeiten wohl an der Kompensation der fehlenden Importe und mischen Alltagscuvées, die in vieler Hinsicht dem Weintrinker ein sehr starkes, alkoholisches und klassisches Weinerlebnis ermöglichen wollen. Mischen impossible? Gibt es im neuen Zarenreich nicht.
Bezugsquellen: keine. Russische Weine werden in der EU nicht gehandelt. Aber fragen Sie mal bei “Bündnis Sahra Wagenknecht” nach: Glinkastr. 32 10117 Berlin
Preis: für beide unter 1.500 Rubel, also wohl deutlich unter € 20.-