Ungarn, das ist so ne Sache. Kann man in das Land des Diktators Orban fahren? Ja! Man soll. Um Locations wie das a38 zu feiern.
Das ist eine Geschichte auch über unseren unsicheren und seltsamen Aggregatzustand. Nehmen wir mal Budapest her. Oder Ungarn gesamt. Was wissen wir? In Ungarn regiert der ehemalige Jungliberale Viktor Orban nun seit über zehn Jahren mit seiner rechtsrechten, nationalen Partei Fidez, die bei den letzten Wahlen. Umfragen trotzend, einen noch höheren Wahlsieg einfahren konnte. Zu den Ursachen kommen wir gleich.
Orban und die Fidez haben ein ziemlich perfides System etabliert, bei dessen Etablierung ich über Jahre Zeuge sein durfte, denn ich war (und bin) ziemlich oft in den großartigen ungarischen Weinbaugebieten zu Gast, denn Ungarn war bis 1945 eine der drei führenden Weinnationen der Welt, gemeinsam mit Frankreich und Deutschland – vom italienischen Wein sprach in der damaligen Weinwelt niemand. Das Weinland Ungarn feiert ein jetzt vor allem nationales Comeback; die Ungarn trinken ihre modernen und geilen Weine vor allem selber. Und das ist voll ok so.
Das perfide Orban-System habe ich in den Weinbaugebieten, vor allem im prestigereichen Tokaj, dort erlebt, wo der Staat an Großkellereien beteiligt ist. Eine dieser Großkellereien habe ich über Jahre beobachtet. Und habe erlebt, wie smarte, kluge weltoffenen Geschäftsführer von anderen klugen, smarten und weltoffenen Geschäftsführern über Nacht quasi im Handstreich abgelöst wurden, weil die Ablöser der Fidez und Orban nahestanden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz ist das in dieser Drastik undenkbar.
Es ist aber nicht so, als hätten die Orban-Leute keine Ahnung, wo die Kellereien geschäftlich hin sollen. Und es ich auch nicht so, dass die samt und sonders versagen – ganz im Gegenteil. Es ist aber so, dass ihnen befohlen scheint, die wunderbaren Weine Ungarns, und vor allem des Tokaj, in Sachen Export eher gen Osten als gen Westen zu lenken. Also Richtung neuer russischer Mittelschicht. Und nicht in die Vinotheken und zu den Händlern in Wien, Frankfurt, Hamburg oder Berlin. Kann man also mit Wein Politik machen? Ja, man kann. Kann man mit solchen politischen Entscheidungen auch erfolgreich sein? Ja, man kann. Vor allem, wenn man sich Sanktionen nicht anschließt, obwohl diese geboten wären. Ich habe zudem erlebt, wie man sehr erfolgreiche Weinoligarchen, die sich von Orban und der Fidez nicht alles gefallen lassen wollten, mit unzähligen Steuerprüfungen fertigmachte. Ich weiß, es wird auch hier Leser und Leute geben, die jetzt gleich sagen: „Ist doch bei uns genauso“. Nein, ist es nicht. Wir leben in einem echten Rechtsstaat mit echter Gewaltenteilung. Ungarn hingegen ist kein Rechtsstaat mehr – auch wenn die Regierung einen solchen vortäuscht.
Über die Lage der Medien und der Pressefreiheit will ich zu diskutieren erst gar nicht anfangen. Tatsache jedoch, dass ein Medium wie Mixology sich in Ungarn einer nationalen Leitkultur unterwerfe müsste, damit Inserate ungarischer Hersteller überhaupt geschaltet werden dürfen. Ja: Du darfst frei über alles schreiben. Aber ja auch: Die Mehrzahl deiner Artikel muss über Ungarn handeln. Und positiv sein. Die hier wahrscheinlich mitlesende Verlegerfamilie Meininger weiß, dass solche Eingriffe in Deutschland nicht stattfinden und auch nicht stattfinden werden.
Eigentlich gehört Ungarn hochkant aus der EU geschmissen.
Warum aber wählen die Ungarn die Fidez und Orban? Und warum sind so viele Nicht-Orban-Wähler so tolerant der Diktatur gegenüber? Dazu drei Antworten. Erstens: Das Land hat eine gute Arbeitsmarktlage und die Ungarn sind auch mit weniger Auskommen, das aber sicher sein muss, zufrieden. Zweitens: In Ungarn gibt es keine Flüchtlinge und keinen sichtbaren Islam. Kopftücher? Nirgendwo. Messerstecher? Selten. Sicherheitslage in schlechtergestellten Bezirken: besser als in Deutschland. Und das begrüßen auch Leute, die Orban nicht gewählt haben. Und drittens: Orban und die Fidez bedienen einen Großungarn-Nationalismus, den vor allem die ländliche Bevölkerung bejubelt. Denn Ungarn hat, so wie Deutschland nach 1945, nach dem ersten Weltkrieg fast die Hälfte seines ethnischen Staatsgebietes verloren.
Ungarn ist ein wahnsinnig schönes Land, vor allem zur Grenze Österreichs hin und im Norden und Nordosten, wo man am Land heute gute Kneipen mit gutem Essen findet und in Budapest eine schlicht oft großartige Bar- und Clubkultur. Sicher: Budapest wird nicht von der Fidez kontrolliert. Doch lässt die Fidez in Budapest und in anderen Städten der Szene sozusagen freien Lauf. Soll heißen: Was in unseren Städten in Sachen Betriebsgenehmigung oder Betriebsauflagen oft zum blanken Verzweifeln führt, das gibt es in Ungarn, in Budapest, nicht. Und weil es weder Flüchtlinge oder den Islam gibt, gibt es auch kaum Probleme an den Türen und in den Lokalen, denn junge, unbegleitete Männer, das sind hier nur Ungarn.
Und das Wichtige: Auch wenn das weltoffenen, jungen Ungar:innen nicht gefällt – und in Budapest gefällt das vielen Jungen nicht – , dann finden sie trotzdem keinen Grund offen aufzubegehren, denn die Stimmung in der Stadt ist super und Ungarn, auch Gegner Orbans, werden in der Gastro nicht drangsaliert. Der Diktator macht leider vieles richtig, was seine Vorgänger, die gute Demokraten waren, falsch machten.
Die Stimmung in der Club-und Barkultur in Budapest kann man ab kräftigsten im a38 wahrnehmen, was, ein nicht ganz stimmiger Vergleich, so etwas wie Bergain-meets-Arena von Budapest ist. Hier gehen selten Leute feiern, die mit Fidez oder Orban auch nur irgendwas am Hut haben. Aber weder Fidez noch Orban sind hier groß Thema – auch das ein Sieg der Dikatur: es gibt sie gar nicht.
Das a38 ist großartig. Von proll bis halbedel alles da. Gute DJ’s bis hin zu legendären Popgruppen wie The Damned treten hier auf. Das a38 ist noch dazu eine Art eigenes Land, weil es ein ehemaliges ukrainisches Schiff ist, das auf dem Wasser, der Donau, liegt – schwer zu entern, falls die Behörden das mal versuchen sollten.
Freilich gibt es im a38 auch britische Sauftouristen, die Bagage der Enthirnung und der Grauens, die vor nichts und keinem Land halt macht. Die Security, das habe ich selbst erlebt, greift aber hart durch, wenn jemand Randale macht – bei Briten besonders hart.
Ein wichtiger Punkt ist die Breite des Angebots. Wodka gibt von populär bis sehr speziell. Rum auch. Also auch Flaschen für Leute wie mich, die sich ein bisschen auskennen und mit dem bisschen Auskennen einen Distinktionsgewinn erzielen wollen. Die Cocktails sind so, damit sie allen schmecken: eher auf Süß gelegt, oft mit den Schuß Alkohol mehr, wie im Osten üblich, wo die Leber generell mehr zu vertragen scheint. Ein Abend, eine Nacht, im a38, garantieren nichts Besonderes. Nur gutes Abhängen in maximal entspannter Atmosphäre mit einigen Details der Location und des Konsumierbaren, die dann doch den Anschein stehen lassen, einen in Teilen besonderen Abend erlebt zu haben.
Unser Aggregatzustand. Hand aufs Herz, liebes Bar- und Clubpersonal; liebe Barkonsumenten: Würden wir, in Deutschland oder Österreich, nicht auch damit happy sein, dass eine Diktatur uns nicht nur in Ruhe lässt, sondern auch Sicherheiten garantiert, die in tatsächlichen Freiheiten münden? Würden wir nicht auch happy sein, wein keine Problembären im Lande wären, die im Lokal immer irgendwelche Schwierigkeiten machen müssen, weil sie die Gleichstellung der Geschlechter weder anerkennen noch achten. Na?
Ich kann die Frage für mich beantworten: Ja. Und ich bin ein absoluter Gegner rechtsrechter Politiker und Diktaturen. Der Erfolg Orbans ist auch mit dem Erfolg, der als Orban-Gegner verlässlichen Leute vom a38 verbunden. Das ist der Aggregatzustand. Let’s discuss.