Simon Schubert ist Wiener, jung, und ein in der Spitzen- und Sternegastronomie erfahrener Weinkellner. Ich schreibe Weinkellner statt Sommelier, weil Schubert, gemeinsam mit dem Grazer Koch Julian Lechner, das altwiener Beisl „Reznicek“ wiederbelebt hat. Als Beisl, wienerisch für Kneipe, mit einem nun in Sachen Zutaten, Verarbeitung und Komposition renovierten und in die kulinarische Moderne geführten Küchenstil. Schubert und sein Koch Lechner haben zuletzt im Wiener Sternerestaurant „Aend“ gearbeitet, das den wohl derzeit interessantesten, jungen deutschen Küchenchef beider Länder beherbergt, den 36jährigen Erfurter Fabian Günzel. Zwischen deutscher und österreichischer Gastronomie herrscht also ein reger Austausch, vor allem in Wien. Ich schrieb über Günzel 2019 in der Welt am Sonntag und zitiere kurz, was ich damals getrunken habe:
„Ein mährischer Roséwein aus biodynamischem Weinbau, leicht sauer, maximal fruchtig, begleitet Günzels einfach großartiges Rhabarber-Joghurt-Dessert. Für Wien und die patriotische Weinbaunation Österreich fast Frevel: Schubert öffnet auch jede Menge deutsche Rieslinge, etwa einen Kallstädter Saumagen des Weinguts Koehler-Ruprecht aus der Pfalz.“
Mährischer Rosewein? Vom dortigen Newcomer Milan Nestarec, den vor drei Jahren noch keine und keiner kannte. Wie kommt Schubert auf mährischen Rosewein? Schubert sagt, ihn hätten die Nischen im Weinbau immer interessiert, auch wenn es da manchmal Zeit braucht, geniale Weine zu finden. Und das habe sich nach zehn Jahren, in welchen er viele, wenn nicht alle Nischen durchgekostet hat, nicht geändert. Nischen erkennt Schubert aber auch in traditionellen Weinbaugegenden, wo junge Winzer oft gemeinsam eine eigene Richtung definieren und sich so von den Altvorderen absetzen. Dazu kommt, dass die meisten neuen, interessanten Winzer ähnlich oder gleich alt sind wie Schubert, das ist also eine Generationenfrage – wie sie vieles heute.
Und es ist auch im Wandel der Gesellschaft beinhaltet, dass Menschen, die Wein keltern, ihn handeln oder ihn den Gästen in die Gläser schenken heute mit vielen Problemen konfrontiert sind, die es in meiner Jugend nicht gab: den Klimawandel, der die Weine zunehmend verändert, oder neue ethische Regeln, die sowohl in der Gastronomie als auch im Weinbau zu Denkschulen führt und eine neue Generation von „Weingastronomen“ (so nenn’ ich sie mal) stark beeinflusst. Ausgerechnet in der Zeit der Pandemie fühlte sich Schubert dazu aufgerufen, sein eigenes Lokale zu gründen – mit 31. Soll mir keiner mehr mit seinem Gequatsche über die feige Jungend daherkommen.
Kulinarik und Weinkultur aus ausschließlich ideologiebefreiten Köpfen, deren Denke und deren Anliegen in Sachen Wein ist, ausschließlich individuelle und singuläre Winzer einer breiten Schicht, und eben nicht nur Weinenthusiasten zugänglich zu machen, die Demokratiewerdung der Genussbewegung: das ist es“ Das ist das Richtige. Das „Reznicek“, wo Schubert auch heute noch quasi jeden Tag rare Weine öffnet, Barolo beispielsweise, die man so preisgünstig nicht kannte, ist ein Restaurant ohne Schwelle, die jede und jeder sich ein paar Mal im Jahr leisten kann und sollte. Weil jede und jeder nur dort sozial gerecht die großartige Vielfalt der Weinwelt erfahren kann.