Nach meinem Interview mit Nic Marcou (zu lesen hier auf WINEPARTY) in Limassol gingen wir – Marcou und ich – bereits leicht erheitert, entspannt und erwartungsfroh zu einem neuen Lokal in der Altstadt, gleich neben dem Kastell. Eine Fressmeile mit etwa zehn unterschiedlichen Restaurants oder Bars; das Wetter warm genug, um auch abends problemlos eine Zeit lang draußen sitzen zu können. Das Lokal bot Asia- und Texmex-Fusion – auch das nichts ganz Neues dort. Die kleine Runde war gemischt, die einen oder anderen kannten einander gar nicht: wir bestellten quer durch die Karte; der Wirt fand viel Grünen Veltliner für uns und Nic hatte eine Flasche Blaufränkisch mit ins Lokal geschmuggelt – wohl für das Beef, was bald serviert wurde.
Die Alkohol wirkte, wir waren geöffnet, ich fabulierte über die verrückte Ehe meiner Eltern, meinen spielsüchtigen Vater und seine irren Taten (anstelle nach Glück im Spiel die Wohnung auszubezahlen, erwarb er ein Rennpferd), mein Englisch wurde mit fortlaufenden Abend nahezu exzellent (zumindest meiner Ansicht nach) und es wurde herzlich und intensiv gelacht.
Nachdem ich noch um eine Flasche Champagner gebeten hatte, wühlte der Wirt in seinem total chaotischen Weinschrank und offenbarte dann eine wild zerkratzte und in zerrissene Kunststofffetzen verhüllte Bottle. Auf meine Frage hin, ob er diese heimlich aus einem Flugzeugwrack geborgen hatte, bogen wir uns alle vor Lachen – inklusive dem Wirt und seinen Leuten.
Irgendwann ließ ich mich dann im Stuhl etwas zurückfallen und verspürte das Gefühl einer Glückseligkeit, eine Melange aus der Wirkung des Alkohols, der Freude am Gespräch und des vielen herzlichen Lachens, des Verstandenwerdens und Verstandenseins: der Augenhöhe mit den anderen, den vielen kleinen ‘Kicks’ untereinander. Ich war ganz im Jetzt, hier in diesem Lokal, mit diesen nunmehr lieben Menschen; und nicht – wie bei mir so oft – im Gestern oder weit im Morgen.
All dies ist eben auch Teil des Alkohols, der hier in mein Wesen eingreift und dieses an jenem Abend zum kleinen Glück geführt hat. Und auch explizit: das gemeinsame Trinken. Denn wäre ich mit lauter Cola-Light-Trinkern an einem Tisch und tränke alleine, so wäre ich in einer solchen Runde vermutlich nur ein versoffener Trottel, der alle mit seinen Geschichten belästigt.
Als wüsste ich nicht um die Folgen! Oft hat mich der Alkohol, den einen oder anderen Tag danach, auch in Verstimmung und Angstgefühle geführt. Wie auch das Glück, so auch das Leid. Wenn wir aber nun aufhören würden, gemeinsam Wein zu trinken, würden diese Freuden und Leiden verschwinden. Ich würde mich um einen Bestandteil meines emotionalen Erlebens bringen: um den Rausch, jenen von mir so empfunden guten Rausch. Gemeinsame Abendessen wären distanzierter, formaler: aus sich herauszugehen nur in kleinen Schritten, jeweils den oder die anderen abwartend, möglich. Irres zu sagen wäre dann nur mehr den Freaks zugängig, deren Worte aber auf unfruchtbaren Boden fielen.
Die asketische Gesellschaft ist eine distanzierte Gesellschaft. Sie kennt mehr Grenzen als Raum, ist zutiefst moralinsauer – was noch nicht mal das Schlimmste wäre – und greift ob ihrer tiefen Selbstgewissheit auch gerne mal zum Gesetzgeber.
In die aktuelle europäische Weinkrise mischt sich nun dieser unangenehme Impuls wie eine giftige Tinktur, die in eine ohnehin schon verschmutzte Brühe geschüttet wird. Ich will sie nicht haben und ich brauche sie nicht. Ich bin 54 Jahre alt und wild bereit, mich weiter Glück und Leid auszusetzen.
Gerhard Ziegler ist Herausgeber der Wineparty. Seine Meinung muss nicht die Meinung der Redaktion und der hier Publizierenden wiedergeben.