Vor vierzig Jahren zerstörte der Glykol-Skandal die Fundamente des österreichischen Weinbaus. Der nachfolgende Aufstieg der heimischen Winzer war eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Doch im Zug der Weinkrise interessiert sich heute kaum jemand für die spektakulären Jahre des Aufstiegs.
Der Niedergang kündigte sich an einem Nebenschauplatz an. Im September 1984 drohten burgenländische Winzer mit dem Aufstand: Das Gebiet der Langen Lacke, in deren Umgebung sie ihregewinnträchtigen Beerenauslesen und Eisweine kelterten (und bis heute keltern), sollte zum Naturschutzgebiet werden. Der Streit eskalierte, Gendarmen mussten Besetzungen verhindern. Bei einer Konfrontation zwischen Landwirten und Exekutive ließ ein Beamter seiner Wut freien Lauf: „Passt’sauf“, schrie der erregte Kommandant der Exekutive, „weil was bei euch im Keller liegt, das ist eine riesige Sauerei!“ (Reportage MOZ 12/1984)
Keiner der anwesenden Pressevertreter konnte mit der Andeutung etwas anfangen. Die Einheimischen aber wussten genau, was der Gendarm meinte: Viele der großen Weinproduzenten dieser Region panschten, was das Zeug hielt – von der Zugabe von zu viel Zucker bis hin zur illegalen Beimischung von Diäthylenglykol, einem Frostschutzmittel, das extraktlosen Weinen den Anschein perfekter Spätlesen gab.
Es war das chemische Untersuchungsamt der Stadt Trier, im westlichsten Winkel der alten Bundesrepublik Deutschland gelegen, das den gärenden Skandal an die Öffentlichkeit brachte. Dort destillierten sie am 28. Januar 1985 unerlaubte Zusatzstoffe aus einigen österreichischen Spätlesen und informierte die Behörden des Nachbarlandes. Mehrere „Weinfahnder“ des Landwirtschaftsministeriums begannen noch im Geheimen (aus ermittlungstechnischen Gründen) mit gezielten Kellerkontrollen. Am 23. April 1985 ging der damalige österreichische Landwirtschaftsminister Günter Haiden an die Öffentlichkeit: „Wir haben Hinweise bekommen, dass dem Wein in einigen Betrieben ein chemisches Mittel beigefügt wird, durch das eine Extrakterhöhung eintritt.“ Haiden entlastete sogleich die kleinen Winzer und sprach von einer „Spätlese aus der Chemieküche“ – ein verhängnisvolles Zitat, das sich bald in jeder deutschen Tageszeitung wiederfand.
Nebenwirkungen. Und Italien?
Fast zeitgleich kostete ein Weinskandal in Italien mehrere Menschen das Leben (vor allem in Schweden), doch es waren die Süssweine aus Österreich, die die weltweite Empörung schürten. Von Japan bis Mexiko, von Kanada bis ins kommunistische Polen schlugen die Wellen hoch. Österreichischer Wein, ob gepanscht oder nicht, flog aus allen Regalen. Schwerkranke oder gar Tote waren freilich keine zu beklagen, die häufigsten Nebenwirkungen waren Übelkeit und Nierenbeschwerden.
Den ersten Untersuchungen folgten recht spät auch Verhaftungen. Ende Juli wurde der Golser Weinhändler Hans Sautner wegen Verdachts auf schweren gewerbsmäßigen Betrug inhaftiert, einige Tage später folgten vier weitere Weinmacher. Der Skandal weitete sich aus, als man in einer Spätlese der Gebrüder Grill aus Fels am Wagram die sagenhafte Menge von 48 Gramm Glykol feststellte – „absolute Vergiftungsgefahr“, wie die Behörde festhielt. Anfang August 1985 waren zwanzig Winzer und Kellermeister in Haft, Betriebe wurden geschlossen und deren Buchhaltung beschlagnahmt. Im Oktober 1985 kam es zu einer Reihe von Prozessen, die Urteile erstreckten sich von 15 Monaten bis zu zweieinhalb Jahren Haft. Der österreichische Weinexport, im Jahre 1984 noch 478.434 Hektoliter stark, sank bis 1986 auf 42.119 Hektoliter – eine ökonomische Katastrophe. Viele Winzer standen vor dem Ruin. Selbst die österreichischen Konsumenten, einst die verlässlichsten Abnehmer, tranken lieber italienischen Wein.
Da jeder Winzer gleichermaßen litt und vor dem Abgrund stand, wurden fast alle Rivalitäten begraben. Auch der Staat reagierte außergewöhnlich schnell: Österreich erhielt das damals strengste Weingesetz der Welt. Damit war der Boden für Reformen bereitet.
Neubeginn. Und Rotwein!
Kurioserweise sorgten in den folgenden Jahren zunächst unbekannte Rotweine für Aufmerksamkeit. Nur die besten Trauben von Lagenrebstöcken wurden etwa für den sagenhaftesten Blaufränkischen dieser Zeit gekeltert, den Ried Marienthal 1986 von Ernst Triebaumer. Auch andere Weinbauern begannen auszulesen und zu experimentieren, bauten ihre Weine in neuen, auch, der Mode geschuldeten, stark getoasteten Barriques aus. Neben den alten Betontanks, den riesigen Kastanienfässern und den leicht angerosteten Stahltanks standen diese neuen, hellen Fässer wie Symbole für den Kulturbruch: klein statt groß, Auslese statt Menge, Qualität statt Masse.
Zwar konnte sich manch alteingesessener Weinbauer mit der neuen Praxis nur schwer anfreunden, doch der Generationswechsel beschleunigte den Umschwung. Der Nachwuchs kehrte von den Weinbauschulen in die elterlichen Betriebe zurück, viele hatten ihre Lehrjahre im Ausland absolviert. Diese avantgardistisch angehauchte Elite strebte nach Selbstverwirklichung; die Eltern mussten – noch unter dem Schock des Glykol-Skandals – ihre Entmachtung still erdulden.
Exporterfolge. Und das Ausland kauft!
Erste Erfolge bei internationalen Messen und der damals aufkommende Boom der österreichischen Spitzengastronomie ließen die Nachfrage nach österreichischem Wein stetig steigen. Vor allem der Inlandsmarkt schulterte den Erfolg – und trägt ihn in gewissem Anteil noch heute. Doch die internationale Stilistik der neuen österreichischen Weine zeitigte bald auch erstaunliche Exporterlöse. Es war nicht mehr nur plumpe Imitation, es war das selbstbezogene Keltern, die Verbindung neuer Techniken mit alten Fertigkeiten, die diesen Weinen neue Märkte erschloss. Und auch der verpönte Süsswein war wieder gefragt: der zu früh verstorbene Illmitzer Winzer Alois Kracher wurde gar zu einem der Lieblingsweinmacher von Robert Parker, dem damals international mächtigsten Verkoster der liquiden Börsenboom-Jahre.
Die Preise stiegen sprunghaft, eine Bouteille ab Hof konnte bald bis zu 30 Euro und mehr kosten, große Rieslinge von Franz Xaver Pichler (Lucas Pichler) waren (und sind) unter hundert Euro gar nicht zu bekommen. Der einfache Konsument wandte sich ab, eine neue Mittelschicht nahm seinen Platz ein. Und die zögerte nicht zu kaufen. Flasche um Flasche.
Wer liefern konnte, wurde schnell wohlhabend und expandierte, Zukäufe wurden grosszügig aus Krediten finanziert. Neue Keller entstanden, perfekt designte Tempel einer selbstbewussten Branche.
Doch das Ende der Fahnenstange wurde 2005, zwanzig Jahre nach dem Skandal schon sichtbar. Ein zweiter Rotweinboom sorgte Ende der Nullerjahre für ein Übermaß an Neuanpflanzungen, auch der Plafond bei Weißweinen war erreicht. Mit der Einführung kontrollierter Weinregionen – den Anfang machte 2006 das Weinviertel – wollte die Österreichische Weinmarketinggesellschaft (ÖWM) Schablonen für österreichische Weine abseits der bekannten Namen und Marken etablieren. Synonyme wie DAC (Districtus Austriae Controllatus) sollen seither dem Konsumenten einen Weg durch den Wildwuchs weisen, zu dem sich die Wiederentdeckung autochthoner Sorten und die Welle der Naturweine gesellte. Nur interessiert das Kürzel DAC die meisten Weinkäufer heute kaum die Bohne.
Vor allem die Händler des wichtigsten Exportlandes Deutschland leiden an der augenblicklichen Konsumunlust ihrer Klientel. “Ist auch kein Wunder, bei mindestens 60 Euro für einen Smaragd-Veltliner eines renommierten Wachauer Winzers.“, sagt ein Händler in Berlin. Nachsatz: „Was da die Lücken schloss, waren die neuen und ungewöhnlich modernen Kreationen der österreichischen Naturwein- und Bioweinszene.“
Wachstumsgrenzen. Und jetzt?
Was sich nach wie vor ohne große Überredung verkaufen lässt, sind einfache, gut gemachte niederösterreichische Veltliner oder steirische Sauvignons. In der Oberliga, so die Botschaft der Gegenwart, ist für Österreich im Ausland nur wenig zu holen. In Zeiten der ökonomischen Krise und asketischen Zurückhaltung bestellen auch die Wohlhabenden lieber das Bekannte: Bordeaux und Burgund, Piemont und Toskana – und ein bisschen auch die Wachau und große steirische Namen. Und ja: auch burgenländische Rotweine von Tradition bis hin zur Avantgarde.
Der Phönix aus der Asche aus den 1990er-Jahren setzt nun zur finalen Landung in der Gegenwart an. Für manche österreichische Winzer wird das Aufsetzen am Boden der Tatsachen, vierzig Jahre nach dem Skandal, der alles änderte, hart werden.
(Im Artikel finden sich Zitate aus einem Artikel für das Nachrichtenmagazin profil aus dem Jahr 2010)
Ach Gott, wie simpel man alles erklären kann! Nur: 2005 exportierten wir noch sehr viel Fasswein. Es dauerte nach dem Weinskandal viel länger, bis sich relevante Ergebnisse im Export zeigten. Und man sollte den österreichischen Wein nicht vorzeitig abschreiben. Draufbleiben, Qualität vor Menge und junge Leute für gute Weine statt RTDs, Alkopops und Aperol Spritz begeistern. Es beginnt bei jeder Generation wieder von vorn. Aber die Weinkultur wird nicht untergehen.