Jahrelanges Warten hatte gestern ein Ende. Der wiedergeborene Michelin-Österreich wurde erwartet wie die Rückkehr der Sieben Samurai. Ob das Schwert scharf war analysiert Alexander Rabl für die Wineparty
Eine Party wie sie in Österreich schon lange nicht mehr zu erleben war, fand im Hangar 7 am Salzburger Flughafen statt. Die futuristisch anmutende Architektur aus Stahl und Glas bot das Ambiente für die Vergabe der Sterne des mit Spannung erwarteten Michelin-Guide Österreich. Das Setting, nachmittags vom Licht der Wintersonne durchflutet, abends mit perfekter Lichtregie, war ein Rahmen, wie ihn die österreichische Gastronomie nur selten geboten bekommt, aber nach den Befunden der Michelin-Inspektoren redlich verdient hat. Für die an die 600 geladenen Gäste bedeutete die Präsentation der ausgezeichneten Betriebe und Köche eine Menge an Beinarbeit (zahllose stehende Ovationen) und Handarbeit (frenetischer Applaus.)
Höhepunkt des Abends: Die Vergabe des dritten Sterns an das Wiener Restaurant Steirereck am Stadtpark, dem österreichischen Referenzbetrieb schlechthin, ein Unternehmen, dessen Verdienste unbestritten sind.
Weil hier oft vom Wein die Rede ist, fangen wir mit etwas Alkohol an. Es geht um den Wermutstropfen. Michelin Österreich ist herausgekommen, aber – und das ist der Wermutstropfen – es gibt ihn nur als Online-Version, nicht aber, wie man es vom Guide Rouge (wegen der roten Farbe) kennt, als gedruckten Restaurantführer. Wenn ich also am Graben in die Buchhandlung Frick spaziere, und dort zum Regal gehe, in dem die diversen Michelin-Führer für Italien, Frankreich oder die Schweiz platziert sind, und dann frage, wo der neue Michelin für Österreich steht, über den jetzt so viel in den Medien berichtet wird, werden mich die Mitarbeiter darauf verweisen, dass dieser Restaurantführer – und das ist eine Premiere bei Michelin – nicht in Buchform erhältlich ist – irgendwie verwunderlich. Andererseits ist manchen noch erinnerlich, dass der Verkaufserfolg der gedruckten Michelin-Guides für Österreich in den Nullerjahren gelinde gesagt überschaubar war. Vielleicht steckt den Michelin-Machern dieser Misserfolg noch in den Knochen, denn am Geld kann es ja nicht liegen, dass man sich nicht einmal zu einer bescheidenen Auflage hinreißen ließ.
Kolportiert werden € 600.000,- jährlich, die sich das Unternehmen Michelin von Tourismusorganisationen aus acht Bundesländern zahlen ließ (Wien machte nicht mit)* und weiter lassen wird.
Das vertraglich zugesichert auf die kommenden fünf Jahre, womit eine jährliche Neuauflage des Michelin zumindest für diesen Zeitraum gesichert ist. Und wegen dieser Förderungen von quasi-staatlicher Seite, die sich die Staatssekretärin für Tourismus Susanne Kraus-Winkler (ÖVP) im Parlament absegnen ließ, glich die
Vorgeschichte zu dieser Wiedergeburt des Guide Michelin einer Österreich-Version von House of Cards, einem Spiel der Intrigen, angefacht von Geldgier und Angst vor dem Verlust der eigenen Hegemonie in einem kräftig umkämpften Markt. Dabei gab der österreichische falstaff-Herausgeber Wolfgang Rosam Frank Underwood und seine Frau Claire wurde besetzt mit Martina Hohenlohe, Chefredakteurin des GaultMillau Österreich. Eigentlich eine Allianz zweier Konkurrenten, die sonst nicht so gut aufeinander zu sprechen sind.
Ihre Argumente: Niemand brauche in Österreich einen Michelin und schon gar nicht auf Kosten von Steuerzahlern und anderen öffentlichen Geldgebern. Wobei gesagt werden muss, dass der größte Teil der Förderungen von Tourismusvereinen und der Wirtschaftskammer kam, die sich mehrheitlich von Zwangsbeiträgen ihrer Mitglieder, aber nicht von Steuern finanzieren. Es sei, so hieß es von Rosams und Hohenlohes Seite, diese Förderung außerdem eine unfaire Marktverzerrung zuungunsten der heimischen Führer, zu denen bislang auch der Guide von À la carte zählte, der heuer zum ersten Mal nicht mehr erscheint, weil dem Verlag der Aufwand zu hoch ist.
Doch dem Argument, dass die Restaurant-Bewertungen des Guide Michelin und nicht die von falstaff, GaultMillau oder auch À la carte als internationale Währung in der Welt der Spitzengastronomie und der kulinarischen Reisen ohne Vergleich sind, konnten letztendlich weder Rosam noch Hohenlohe etwas entgegensetzen. Kolportiert wird im Übrigen auch, dass der falstaff-Verlag mittlerweile ebenfalls mit mehreren Hunderttausend an Fördereuros bedacht wurde. Dennoch ließ es sich falstaff-Herausgeber Wolfgang Rosam auf X und in Newsletters auch in den vergangenen Tagen nicht nehmen, die Qualifikation und Recherche des Michelin kräftig in Frage zu stellen. Mittlerweile erhielten die mit einem Stern ausgezeichneten Restaurants vom falstaff das Angebot eines Advertorials zum Preis von mehreren tausend Euro. Geschäft ist Geschäft.
Die österreichische Gastronomie ist in einer Hochblüte, doch es wird immer schwieriger, für die vielen guten Restaurants einheimische Gäste zu finden. Österreich befindet sich ähnlich wie Deutschland im dritten Jahr einer Rezension. Die Inflation während der letzten drei Jahre betrug gesamt rund 25%. Das Geld der Österreicher landete bei den Energiekonzernen, die sich während der vergangenen Jahre auf unverschämte Art und Weise bereichern. Dazu gesellte sich eine Preissteigerung in der Gastronomie um gut und gerne 30%, verursacht durch höhere Personalkosten, Lebensmittelpreise und Energiepreise. Diese Preise liegen den Gästen im Magen, sie hemmen den Appetit auf ein Essen in der Gourmetabteilung, das sich auch im 1-Sterne-Bereich mit 700,- für zwei Personen niederschlagen kann. Also ist es volkswirtschaftlich richtig, die Zielgruppe für die österreichische Gastronomie, die Rede ist hier von der gehobenen und der Spitzengastronomie, die zwischen Wien und Bregenz flächendeckend vertreten ist, kräftig zu erweitern, indem diese Art der Gastronomie für Touristen und Reisende sichtbar gemacht wird. Dass man mit Reisenden, die wegen des Essens eine Region aufsucht, auch mehr Geld verdient als mit jungen Familien oder Radsportlern, hat sich jetzt auch zu den Tourismuswerbern herumgesprochen.
Dazu kommt, dass die Gestehungskosten des Michelin ungleich höher sind als die des falstaff, der überhaupt keine Tester beschäftigt, und seine Rankings aus Online-Votings bezieht, die dann von einem Redakteur eingeordnet werden; oder die des GaultMillau, dessen frei beschäftige Restauranttester mit einem Pauschalhonorar von 120,- bis 150,- pro Lokal entlohnt werden, wovon sie Reisespesen und Restaurantrechnungen wie eventuelle Übernachtungen mit begleichen müssen. Mehr gibt es nicht. Dass sich das niemals ausgeht, wird klar, wenn man einen Blick auf eine Speisenkarte eines österreichischen Haubenrestaurants wirft.
Die Inspektoren des Michelin hingegen sind angestellt und sozialversichert. Ihre Spesen werden komplett übernommen und sind je nach Restauranttyp nicht gerade niedrig, auch wenn die Inspektoren es beim Wein nicht übertreiben. Schließlich steht das Essen im Mittelpunkt ihres Interesses.
Die Österreich-Werbung lud anlässlich der Präsentation des Michelinführers Journalisten aus aller Welt nach Salzburg, scheute weder Kosten noch Mühen, arbeite dann auch um Umfeld professionell und veranstaltet gerade Presse-Trips zu Spitzenrestaurants und ausgesuchten Produzenten quer durch Österreich. Drei Tage sind die Truppen unterwegs, darunter Restaurant-Schreiber aus der Schweiz, aus Deutschland und englischsprachigen Ländern. Der Autor stand ebenfalls auf einer Einladungsliste, verzichtete aber, schließlich sollen die in den Genuss kommen, die die Betriebe noch nicht erlebt haben.
Man rätselte vor dem Erscheinen des Guide, in welcher Art sich die Inspektoren Österreich nähern würden. Würden sie sich als großzügig erweisen oder mit der Vergabe der begehrten Sterne geizen, vielleicht auch um die Spannung für den Guide 26 zu steigern? Jetzt lässt sich sagen: Sie erwiesen sich als großzügig. In der im Großen und Ganzen sorgfältig recherchierten Online-Ausgabe findet sich für jedes Eck und Ende Österreichs eine Adresse, die jedenfalls mit einem Bib Gourmand, einem grünen Stern (für Verdienste um die Nachhaltigkeit) oder mit einem, zwei oder drei Sternen ausgezeichnet ist.
Schade, dass man diese Adressen nicht auf einer Landkarte findet, wie Michelin-Konsumenten es seit Jahrzehnten aus Italien und Frankreich kennen. Die Großzügigkeit der Michelin-Inspektoren, die allerdings keine Milde ist, sondern die Wirklichkeit abbildet, setzt Österreich jedenfalls auf die virtuelle Landkarte von Ess-Nationen wie Italien, Spanien, Frankreich, die Schweiz, Großbritannien und Deutschland. Das kleine, vor allem im Westen sehr vom Tourismus geprägte und auch abhängige Land, kann mit den genannten Ländern ab jetzt wieder auf Augenhöhe verhandeln, wenn es um gutes Essen und Esskultur geht. Im Unterschied zu den anderen deutschsprachigen Ländern ist die österreichische Kulinarik auch sehr von Traditionen und Geschichte geprägt und ist nicht einfach ein Ripp-Off französischer Hochküche. In Restaurants wie Obauer im Salzburger Werfen, beim Döllerer in Golling, dem Landhaus Bacher in der Wachau, oder dem Steirereck in Wien findet man immer wieder Zitate aus der früheren Zeit, oder auch gleich ganze Gerichte, die in Österreich schon im 18. Oder 19. Jahrhundert zubereitet und gegessen wurden. Sowohl die karge alpine Küche als auch die opulentere und fleischlastige Küche der ehemaligen Kronländer – mitsamt den köstlichen Nachspeisen – prägen diese Esskultur und geben ihr etwas Unverwechselbares. Eine eher austauschbare High-End-Küche findet man am ehesten in manchen mehrfach besternten Adressen der Städte und in den kleinen Gourmet-Enklaven der Luxushotels in den Skigebieten. Dort kann es vorkommen, dass die Sterne-Küche statisch und redundant wirkt, gleichwohl auf hohem oder extrem hohem Niveau exekutiert.
Die grünen Sterne, die der Restaurantführer des Reifenkonzerns vergibt, entziehen sich meinem Verständnis. Dass ein Restaurant nachhaltig arbeitet und viele Zutaten aus der Umgebung bezieht, sagt über die Qualität des Essens weniger aus als ein Bib Gourmand (für tolles Preisleistungsverhältnis) oder ein oder mehrere Sterne (für exzeptionelles Essen, das bis zu einer Reise wert sein kann, siehe die drei Sterne für Steirereck und Amador in Wien). Sie wurden außerdem ein wenig willkürlich vergeben und wenn einem jetzt in diesem Zusammenhang der Begriff des Green Washing einfällt, geht man vielleicht nicht unbedingt fehl.
Wenn ich mir die Liste der Auszeichnungen durchlese, fallen nur einige wenige Betriebe auf, die mehr Lob verdient hätten. Das Bootshaus in Traunkirchen am Traunsee ist mit einem Stern ziemlich unterbewertet und dem genialischen Küchenchef Lukas Nagl galt gestern das Mitleid mancher Kollegen. Csencsits in Harmisch im Südburgenland hätte sich zumindest einen Bib Gourmand verdient, auch das Triad in der Buckligen Welt ist unverständlicherweise leer ausgegangen. So großzügig waren die Inspektoren dann doch nicht.
Als frugal erweist sich der Michelin schließlich beim eigenen Anspruch an die Texte des Guide, die die Bewertungen der Betriebe ergänzen und erläutern. Diese Texte wirken höchst ungelenk, wie ein Schüleraufsatz, und teils wie von einer KI erstellt, upgedatet im Jahr 23. Solche Texte haben sich Österreichs Gastronomen und Küchenchefs jedenfalls nicht verdient.
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*) In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass die Stadt Wien sich aus politischen Gründen nicht am Guide-Michelin-Österreich beteiligt hat. Die Stadt Wien lässt über einen ihrer Sprecher ausrichten, dass die Gründe nichts mit Politik zu tun gehabt hätten, denn: “Wien sei mit Salzburg-Stadt ohnehin im Main-Cities-Michelin vertreten. Deswegen habe eine Beteiligung keinen Sinn gehabt.”
Guter Artikel! So sehr der Michelin die harte Weltwährung im Sternebereich ist, hapert es beim Wirtshausbereich, ähnlich wie im Michelin Italien, den ich niemals heranziehe, wenn ich eine nette, gut kochende Osteria oder Trattoria suche. Das bodenständige Küche beim Michelin nicht geschätzt wird, beweist das Fehlen einiger der besten Wirtshäuser des Landes: Grünauer, Sodoma, Loibnerhof, Schwarz Nöhagen …
Absolut. Das dürfte nicht passieren, dass schwarz und Sodoma den Michelin-Lesern verschwiegen werden.
Völlig deiner Meinung
Dass “dass” von diesen dummen Autokorrekturen notorisch in “das” verfälscht wird, ist ärgerlich!