Fünf Tage alkoholfrei: Die Wineparty blickt hinter die Kulissen von alkoholfreiem Wein und so genannten Proxies, die zunehmend Beliebtheit erfahren. Den Anfang macht Wineparty-Chefliterat Risto Rieger. Er erzählt uns, wie alkoholfreier Wein entsteht. Und warum man da selten von Nachhaltigkeit und Handarbeit reden kann.
Die normative Einflussnahme der sozialen Medien auf den seit Jahren rückläufigen Alkoholkonsum und das Trinkverhalten unserer Gesellschaft ist tatsächlich ein bemerkenswertes sozio-politisches Phänomen, das sich hervorragend in den allgemeinen Tenor eines zeitgeistigen – und grundsätzlich positiv zu bewertenden – post-, bzw. neo-woken, identitätspolitischen Lebensentwurfs integrieren lässt.
Lifstyle- und Gesundheitsinfluencerinnen (Männer mitgemeint) forcieren dieses Sobriety-Phänomen nicht unwesentlich. Zusammengefasst unter trendigen Hashtags der Sober-Curious-Bewegung wie beispielsweise #soberoctober oder #dryjanuary – insbesondere auf den Plattformen TikTok oder Instagram.
Nun fügt sich diese Erzählung selbstredend gar hervorragend in ein auf Nachhaltigkeit fußendes und auf Körper, Geist und Seele aufbauendes Lebenskonzept ein. Produkte aus biologischer oder biodynamischer Bewirtschaftung bestimmen einen zu Recht immer wichtigeren Teil unseres Konsumverhaltens.
Doch wie ist es um entalkoholisierten Weine bestellt und deren Vereinbarkeit mit der Rhetorik, der Terminologie der Stunde „Health“, „Achtsamkeit“ und „Nachhaltigkeit“?
Unlängst stolperte ich beim Scrollen in den sozialen Medien über die Frage, weshalb man denn alkoholfreien Wein überhaupt als Wein bezeichnen würde? Die relativ simple Antwort: weil es sich eben um Wein handelt und nicht um Traubensaft. Was viele Menschen überrascht, ist die Tatsache, dass die Herstellung alkoholfreier Weine zunächst mal den Vinifizierungsprozess von Wein voraussetzt. Sprich Wein, der zunächst einen regulären Gärprozess durchlaufen hat und dem im Anschluss daran der Alkohol wieder entzogen wurde.
Einer der größten Irrtümer ist ebenfalls die Annahme, alkoholfreie Weine seien das Produkt eines Winzers – wenige Ausnahmen bestätigen hier die Regel.
Zu rund 80 Prozent findet die Alkoholextraktion des vergorenen Weins bei sogenannten industriellen „Entalkoholisierern“ statt. In Deutschland wäre hier beispielsweise die Firma Trautwein als Marktführer zu nennen. Der Frage, wie nachhaltig dieser Prozess nun wirklich ist, insbesondere dann, wenn der alkoholfreie Wein ursprünglich von einem Biobetrieb produziert wurde, soll hier nun auf den Zahn gefühlt werden.
Zunächst mal sei erwähnt, dass im Falle eines Bioweins das Zertifikat „bio“ bei der Entalkoholisierung entzogen wird, da dieser gravierende Eingriff gemäß Bio-Vorgaben verboten war. Dieses Verbot wurde vor wenigen Tagen aber aufgehoben.
Wir differenzieren grundsätzlich zwischen drei Hauptverfahren zur mal mehr, mal weniger „sanften“ oder wenn man so will „nachhaltigen“ Herstellung von alkoholfreien Weinen: der Spinning-Cone-Column-Technik, der Vakuumdestillation und der Umkehrosmose.
Grob und einfach verständlich formuliert handelt es sich um folgende Prozesse:
Das vermutlich „brutalste“ Verfahren, das im übrigen auch bei der Herstellung industrieller Billigweine, Bier oder auch in der Erdölindustrie zum Einsatz kommt, ist die Spinnig-Cone-Column. Bei der Spinning-Cone-Technik werden, ähnlich wie bei der Herstellung von Saftkonzentraten, die einzelnen Komponenten des Weins, wie beispielsweise Polyphenole, Zucker, Säuren, Alkohol, Aromastoffe etc. unter Ausnützung der Zentrifugalkraft der Schleuderkegelkolonne auseinandergebrochen und in Fraktionen zerlegt, die anschließend ohne die Komponente Alkohol wieder zusammengesetzt werden.
Die wohl sanfteste und am ehesten „nachhaltige“ Methode ist die Vakuumdestillation. Bei dieser Methode kann der Alkohol auch bei einer niedrigeren Temperatur von z.B. 30 Grad extrahiert werden, wodurch der Verlust an Geschmack und Aroma minimiert wird. Der Siedepunkt von Alkohol ist niedriger als der der meisten anderen Bestandteile des Weins und verdampft daher zuerst. Hitze kann die Aromen (negativ) beeinflussen, also je niedriger die Temperatur, desto besser das Resultat. Moderne Vakuumdestillationssysteme nutzen auch die Aromarückgewinnung. Flüchtige Aromen werden aufgefangen und später dem entalkoholisierten Wein zugesetzt.
Bei der Umkehrosmose kommt ein sehr feiner Filter zum Einsatz. Wasser- und Alkoholmoleküle sind die kleinsten Moleküle im Wein, so dass sie leicht durch einen feinen Filter fließen. Dies gilt auch für einige Säuren, aber die meisten Bestandteile wie Farbe, Gerbstoffe und Aromen passieren den Filter nicht. Die farblose und geschmacklose Mischung aus Wasser und Alkohol wird destilliert, um den Alkohol vom Wasser zu trennen. Das Wasser wird dann wieder mit der Farbe, den Gerbstoffen und den Aromen vermischt.
All diesen drei völlig konträren Prozessen ist eines gemein: die daraus entstandenen Produkte wurden ihres Charakters und ihrer Seele beraubt.
Viele Hersteller dieser Weine sind Schreibtischfirmen, teils Startups, die Trauben oder Fassweine aus unklarer Herkunft ankaufen und bei einem Dienstleister entalkoholisieren lassen. Im Grunde reine Marketingderivate.
Was es jedoch gibt, und davon nicht wenige, sind nachhaltige und biologisch/biodynamisch erzeugte alkoholfreie Alternativen, die eben keine alkoholfreien Weine sind, sondern Fermente, Tees, Essige, Kombuchas, Fruchtsäfte, diverse auf Verjus basierende Produkte. Die Auswahl ist nahezu grenzenlos.
Der Markt bietet eine unglaublich spannende Vielfalt dieser sogenannten Proxies, die nicht nur mir den ein oder anderen Aha-Effekt beschert, großartige Menüs begleitet und immer häufiger viel Freude bereitet haben. Zudem räumen besagte Proxys auch der Sommelierie einen deutlich größeren und breiter gefächerten Spielraum sowohl ihn der Auswahl einer alkoholfreien Weinbegleitung, als auch im Storytelling ein, als dies ein entalkoholisierter Wein jemals könnte.
Da gibt es jetzt doch einiges zu kritisieren.
1. Auch, wenn da nicht explizit gegen Dry January & co geschrieben wird, sind die einleitenden Absätze doch geprägt von einer innerhalb der Bubble allgemein wahrzunehmenden, zunehmend gereizten Reaktion auf die anti-Alkohol-Propagierer, inkl. eines neuen Lagerdenkens. Nicht hilfreich.
2. Ist gegen Entalkoholisierer grundsätzlich so wenig einzuwenden wie gegen Versekter. In beiden Fällen findet die Herstellung des Endprodukts aus wirtschaftlichen Gründen nicht in-house statt. Das sagt noch nichts darüber aus, was davor passiert.
3. Bleibt a) in den Absätzen zu den Verfahren der Entalkoholisierung der Zusammenhang zwischen „sanft“ und „nachhaltig“ völlig im Dunkeln und b) bleibt auch die Verwendung von Wörtern wie „sanft“ und „brutal“ auf einer assoziativen Ebene hängen. Am Ende ist entscheidend, was bei dem jwlg. Verfahren verloren geht und das ist keine Frage des Gefühls.
4. ..und somit ist eine Aussage wie „die daraus entstandenen Produkte wurden ihres Charakters und ihrer Seele beraubt“ auch schlicht irrational. Im Wein spukt es nicht.
Ich trinke nicht gerne alkoholfreie Stillweine, weil mich das geschmackliche Ergebnis nicht überzeugt. Weitere, technische Fortschritte hin zu einem besseren Geschmacks- und Geruchserlebnis wären wünschenswert. Das wäre auch die Voraussetzung dafür, dass mehr Weingüter eigene entalkoholisierte Weine produzieren (lassen) und unter eigenem Namen verkaufen.
Die sprudelnden, entalkoholisierten Varianten sind besser, aber nur, weil die Kohlensäure kaschiert. Die „Proxies“ sind somit aktuell tatsächlich die interessanteste Alternative, v.a. aber sind sie interessante Produkte sui generis. Da gibt es keinen Dissenz.
Da gibt es jetzt doch einiges zu kritisieren.
1. Auch, wenn da nicht explizit gegen Dry January & co geschrieben wird, sind die einleitenden Absätze doch geprägt von einer innerhalb der Bubble allgemein wahrzunehmenden, zunehmend gereizten Reaktion auf die anti-Alkohol-Propagierer, inkl. eines neuen Lagerdenkens. Nicht hilfreich.
2. Ist gegen Entalkoholisierer grundsätzlich so wenig einzuwenden wie gegen Versekter. In beiden Fällen findet die Herstellung des Endprodukts aus wirtschaftlichen Gründen nicht in-house statt. Das sagt noch nichts darüber aus, was davor passiert.
3. Bleibt a) in den Absätzen zu den Verfahren der Entalkoholisierung der Zusammenhang zwischen „sanft“ und „nachhaltig“ völlig im Dunkeln und b) bleibt auch die Verwendung von Wörtern wie „sanft“ und „brutal“ auf einer assoziativen Ebene hängen. Am Ende ist entscheidend, was bei dem jwlg. Verfahren verloren geht und das ist keine Frage des Gefühls.
4. ..und somit ist eine Aussage wie „die daraus entstandenen Produkte wurden ihres Charakters und ihrer Seele beraubt“ auch schlicht irrational. Im Wein spukt es nicht.
Ich trinke nicht gerne alkoholfreie Stillweine, weil mich das geschmackliche Ergebnis nicht überzeugt. Weitere, technische Fortschritte hin zu einem besseren Geschmacks- und Geruchserlebnis wären wünschenswert. Das wäre auch die Voraussetzung dafür, dass mehr Weingüter eigene entalkoholisierte Weine produzieren (lassen) und unter eigenem Namen verkaufen.
Die sprudelnden, entalkoholisierten Varianten sind besser, aber nur, weil die Kohlensäure kaschiert. Die „Proxies“ sind somit aktuell tatsächlich die interessanteste Alternative, v.a. aber sind sie interessante Produkte sui generis. Da gibt es keinen Dissens.