Nein, keine Sorge: das wird keine der üblichen Weinverkostungs-Nacherzählungen, die stets – und auch aus nachvollziehbarem Grund – einem ähnlichen oder gleichen Schema folgen. Nein, das hier wird eine Lobpreisung eines Weinguts, das – und das ist dann doch selten in Deutschland – seit Jahrzehnten schon für den grandiosen Ruf deutscher Riesling-Kabinettweine und deutscher Riesling-Spät- und Auslesen sorgt: das Weingut Joh. Jos. Prüm, salopp auch „Tschäj-Tschäj“ genannt. Und dieses liebevolle „Tschäj-Tschäj“ macht gleich etwas Wichtiges fest; nämlich, dass das Mosel-Weingut Prüm mit seiner riesig alten Tradition auch bei Weintrinkern der inzwischen zwei Online-Generationen als Teil einer jungen und leistbaren Alltags-Weinkultur erkannt wird. Liebt jemand Ding oder Mensch, so verniedlicht jeder dieser Jemands das Objekt oder Subjekt seiner Liebe. Deswegen „Tschäj-Tschäj“. Der inzwischen 90jährige Altwinzer Manfred Prüm und seine Frau Amei haben da nichts dagegen. Ganz im Gegenteil – die beiden besitzen das 4ever-young-Gen.
Die Verkostung fand am Attersee statt, in den Räumlichkeiten des Forstamts in Steinbach, dem Familien- und Firmensitz der der Moderne zuzuschreibenden Weinhandelsfirma KATE & KON – übrigens auch allesamt nur junge Leute. Katharina Wolf von KATE & KON, eine der führenden Weinexpertinnen im deutschsprachigen Raum, hatte mit Katharina Prüm, die seit mehr als zwanzig Jahren wesentlich am Weingut wesentliche Verantwortung trägt, ein Verkostungs-Line-Up aufgestellt, das vor allem darauf abzielte, nicht nur die Unterschiede der beiden wesentlichen Lagen Wehlener Sonnenuhr und Graacher Himmelreich aufzuzeigen, sondern vor allem und sehr bestimmt, die Unterschiede von je zwei Jahrgängen pro Flight. So gesehen war das eine der wenigen intellektuellen Verkostungen, die es im Verkostungsreigen der bisherigen Jahres gab. Und es werden kaum noch welche folgen, die intellektuell einen ähnlichen Rang erreichen können.
Intellektuell? Das heißt den Geist, das Denken, das Nachdenken, das Erkennen und ein Fazit des Erkannten Einzug halten zu lassen. Intellektuell! Das heißt aber mitnichten, spaßfrei zu philosophieren – das ist bei exzellenten Weinen ohnehin unmöglich.
So schauen wir uns jetzt mal gemeinsam die beiden intellektuell und geschmacklich interessantesten Flights dieses Abends an, die Flight-Fights der Jahrgänge 2003 und 2004 (Himmelreich und Sonnenuhr, Spätlese und Auslese). Katharina Wolf erklärte freien Herzens zu Beginn der beiden Sessions, dass sie mit den Prüm-Weinen des Jahrgang 2003 gleich nach deren Erscheinen wenig anzufangen wusste. Und das, obwohl sie mit Prüm-Weinen quasi seit ihrem 12. Lebensjahr vertraut war (ihr Vater, ein bedeutender Weinhändler, reichte ihr schon früh das eine oder andere Glas Riesling über den Tisch). Manfred Prüm sagte damals, also so um 2005 herum und wenig schmeichelhaft, sie, also Katharina Wolf, verstehe diese Weine noch nicht. Bei der Verkostung jetzt gab ihm Katharina Wolf recht. Der Autor dieser Zeilen will einwerfen, dass auch er die Prüm-Weine aus 2003 damals kaum „verstand“, ja eigentlich gar nicht mochte. Und der Autor dieser Zeilen muss einwerfen, dass auch er sich irrte.
Wiewohl 2003 auch heute und länger ein ganz besonderer und ganz eigener Wein bleibt und bleiben wird, der in der Verkostung dem 2004er entgegengestellt den immensen Kontrast beider Jahrgänge aufdeckt. Zur Erinnerung: 2003 war damals das erste der richtig heißen Jahre – mit Temperaturen lange, lange Wochen weit über 35 Grad und kaum bis gar keinen Regen. Solche Jahre gab es danach in ihrer klimatischen Dramatik ähnlich wieder (2012, 2015, 2018), die Winzer jedoch hatten aus 2003 gelernt, ließen mehr schattenspendende Blätter an den Stöcken und ernteten auch früher. Deswegen bleibt 2003 immer ein Zeitzeugen-Jahrgang der ersten radikalen Warmphase der neuen und alten Klimabeobachtungen.
2003: Da sahen viele am Anfang schwarz: Viel konzentrierter Frucht und kaum Säure: So ein Jahrgang hält erfahrungsgemäß nicht lange und wird von Jahr zu Jahr plumper. Besser gleich trinken.
Was ein Fehler!
Denn man begegnete 2003 mit den Erfahrungen anderer Jahre, die aber nicht für einen Vergleich taugten. Und heute zeigt sich, dass 2003 ein unerwarteter und delikater Langstreckenläufer ist, der noch viele Jahre bekömmlich groß sein wird – und doch das Klima, sein Klima, sein Wetter, nicht verleugnend.
2004 hingegen war ein guter, feiner Jahrgang, der sich ebenso delikat präsentiert, aber kein Wunder darstellt, wie 2003 eines war. Der Autor bekennt: Prüm 2004 schmeckt ihm besser als Prüm 2003. Die beiden Jahrgänge parallel getrunken sind aber der echt größte Bringer in Sachen Jahrgangsunterschiede. Und diese nicht nur in Sachen Riesling und Mosel, sondern generell.
Zum Schluss der Verkostung gab es noch eine Wehlener Sonnenuhr Auslese Goldkapsel aus 2003, die dem Autor dieser Zeilen bewies, dass 2003 in dieser Goldkapsel-Kategorie noch ein paar Jahrzehnte länger präsent sein wird – wahrscheinlich sogar ein Jahrhundert lang.
Doch Moment: Wir sind noch nicht am Schluss! Denn der zweite Jahrgangs-Flight-Fight war, wenngleich nicht so deutlich, ein ebenso interessanter Aufprall von Jahrgangs-Gegensätzen: der Flight-Fight zwischen 2006 und 2008. 2006 war eines der wenigen Jahre, in welchem die Edelfäule Botrytis auch im Lesematerial der Spät- und Auslesen schmeckbar wurde. 2008 hingegen war ein überaus kühles Jahr – zwei in ihrer Art extreme Jahre also. Was bei der Verkostung schmeckbar wurde ist, dass es erneut auf die kundige Winzerhand ankommt, wenn man mit Botrytis keltern muss. Das kann ordentlich schiefgehen. Oder zu solch grandiosen Weinen wie bei Prüm führen, die eine immense Trinkigkeit (ein seltsames aber passendes Wort) mitbringen. Und das kühle Jahr 2008? Das ergab bei Prüm Rieslinge, die mit immenser Eleganz (die im gewissen Maß die reduzierte Frucht brillant ersetzt) glänzen. Und die, gegensätzlich der Erwartung, auch Langstreckenläufer sind – viele Jahre noch gut zu trinken.
Das Wesentliche dieser Verkostung dieser Weine der modernen Klassik war für den Autor dieser Zeilen aber, dass man nicht nur die Spätlesen von Prüm, sondern auch die Auslesen ganz fantastisch zu Fisch und Gemüsegerichten trinken kann. Und die Auslesen auch zu Reh und anderem roten Fleisch.
Da tut sich eine Welt auf!
Dieser Text erschien zuerst auf falstaff-online