Woke und Identitätspolitik. Was haben die beiden mit dem Weinbau gemeinsam? Wenig. Einzige Verbindung, und die ist dann doch nicht ungewichtig, ist, dass eine jakobinische Social-Media-Bewegung einer Naturwein-Taliban schon vor zehn Jahren begann, Winzer, die konventionellen Weinbau betrieben, mit Shitstorms zu überziehen, die in ihrer Radikalität im Weinbau noch nie zuvor stattgefunden haben. Und auch Weinkritiker wie mich, die eine, sagen wir man, differenzierte Position zu Naturweinen hatte (und hat), wurden Ziel dieser Leute. So, nach diesem Intro braucht es ein paar Klarstellungen, damit nicht wieder alles in die falsche Kehle rinnt.
Erstens: Jakobiner, was bedeutet das? Die Jakobiner waren die aggressivste und gewalttätigste, auch von jeglichen Skrupeln befreite Gruppe in der französischen Revolution. Die Jakobiner von Woke, Identitätspolitik und auch der Naturweinbewegung wollen selbstredend keine physische Bedrohung sein (mitunter dann schon), wollen aber ihr Social-Media-Schafott immer in Betrieb sehen.
Zweitens: Die Anliegen dieser Gruppen, auch der Naturweinfanatiker, sind im Grunde allesamt richtige Anliegen. Nichts ist falsch daran, gegen Rassismus und Diskriminierung aufzutreten. Und es ist ebenso nicht falsch, kann nie falsch sein, die konventionell arbeitenden Winzer massiv und mit Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Handeln, ihr Verwenden chemisch-technischer Hilfsmittel, zunehmend halsstarrer Unsinn ist, denn inzwischen sind viele, und nicht mehr nur ein paar, der großen und auch teuren Weine dieser Welt biodynamische Weine. Es geht also! Es geht aber auch um die Mittel. Und die Naturwein-Taliban haben vor zehn Jahren schon das gemacht, was die Woke-Bewegung heute gesellschaftlich zu machen anstrebt: Sie haben einen Social-Media-Gerichtshof aktiviert und versucht einzelne Winzer zu ruinieren. So hat zum Beispiel ein Aktivist des radikal Biodynamischen, der seltsamerweise politisch weit rechts steht, 2014 versucht, Kelterungen des österreichischen Top-Winzers Lucas Pichler mit Posts und diffusen Vorwürfen massiv schlechtzureden. Das Weingut F.X. Pichler, heute ein naturnah arbeitender Betrieb, und damals in Umstellung, musste tausende Flaschen von internationalen Händlern zurückkaufen, Flaschen aber, die man heute wieder im Handel findet, weil sie gut zu trinken sind – weil der Wein schmeckt. Eine Kölner Naturweinhändlerin forderte 2015 ihre große Gefolgschaft auf facebook auf, mir die Fresse zu stopfen. Es waren die seltsamsten Jahre in Weinbau und Weinkritik. Und es war schlicht und einfach ein Kulturkampf, in dem von der Seite der Naturweinfanatiker völlig Abstruses behauptet wurde, etwa auch, dass der beste Wein entsteht, wenn der Winzer gar nicht macht. Alle dieser Weine waren untrinkbar.
Drittens; „waren“ und „war“. Ja: diese Zeit ist vorbei. Und die Jakobiner der Naturweinszene haben heute kaum bis gar keinen Einfluss mehr. Wie kommt’s? Warum ist diese Zeit der verlangten, radikalen önologischen Zeitenwende vorbei? Ganz einfach deswegen, weil tausende Winzer auf biodynamischen Weinbau umgestiegen sind, etwas das gesamte Gebiet Prosecco DOCG und fast alle Winzer an der Rhone. Und weil man in Deutschland inzwischen sogar machen biodynamischen Wein beim Discounter kaufen kann. Ist das Teil einer Revolution zum Besseren? Ja! Haben die Naturwein-Jakobiner dazu beigetragen? Nun: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ihr lautstarkes und radikales Auftreten in der Zeit von 2012 bis ungefähr 2017 dazu beitrug, dass viele Winzer ihre Pläne auf biologischen oder gar biodynamischen Weinbau umstellen, vorverlegten. Hat es der redikalen Naturweinbewegung was gebracht? Nein. Diese Weine haben sich am Markt nicht behauptet, beziehungsweise haben viele Winzer dieser Bewegung gelernt, wohlschmeckende und bekömmliche Weine zu trinken – Weine, die für die Naturewein-Taliban keine Naturweine mehr sind. Aber wen interessieren heute noch diese verirrten Radikalen?
Viertens und Fazit: Das, was im Weinbau und Weinhandel vor zehn Jahren stattfand, war in gewissem Sinne das, was heute in Sachen gesellschaftlichem Wandel und Klimaprotest stattfindet. Im Weinbau war die Entwicklung auch nach Entmachtung der Radikalen positiv. Im Weinbau!